Ein Ganz Besonderer Fall
verwandelt werden konnte; wenigstens hätte er dann gewußt, daß er einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte. Aber dieses offenäugige Verstehen und das Mitgefühl warfen ihn hoffnungslos zurück. Wie wagte es ein grüner, einfacher Junge, der außer durch seine Lahmheit und seine physischen Schmerzen noch nie seinen Körper gespürt hatte, das Feuer, das in Urien brannte, anzuerkennen und nur mit Mitleid zu beantworten? Keine Furcht, kein Vorwurf, keine Unsicherheit. Er würde sich bei keinem Beichtvater und keinem Vorgesetzten beklagen. Bruder Urien entfernte sich, ein Feuer aus Kummer und Verlangen im Bauch, und sah vor seinem inneren Auge das grausame Gesicht der Frau. Gebete waren kein Heilmittel für diese Erinnerung.
Rhun gewann aus dieser Begegnung, die nur einen Augenblick gedauert hatte und in völligem Schweigen vonstatten gegangen war, ein erstes Bewußtsein für die Tyrannei des Körpers. Qualen, vor denen er sicher war, mochten sehr wohl einen anderen Mann peinigen. Bruder Uriens Not bekümmerte ihn, er wollte ihn in seinen Gebeten zur Vesper bedenken. Das tat er auch, und während Urien immer noch das feindselige Gesicht seiner verlorenen Frau sah, erblickte Rhun das dunkle, gespannte, hübsche Gesicht, das mit entflammter Stirn und verhangenen Augen seinem Blick ausgewichen war; bitter beschämt, wo Rhun keine Scham empfand. Dies war wirklich eine dunkle, geheimnisvolle Angelegenheit.
Er sprach mit niemand darüber. Was war denn schon geschehen? Nichts! Doch er sah seine Mitmenschen mit neuen Augen, blickte eine Dimension tiefer und erkannte ihre Nöte und bemühte sich, für ihre Qualen offen zu sein.
Dies geschah zwei Tage, bevor man die Beständigkeit seiner Berufung anerkannte, ihm die Tonsur gab und ihn als Novizen und Bruder Rhun aufnahm.
»Dann hat unser kleiner Heiliger seinen Entschluß in die Tat umgesetzt«, sagte Hugh, der Cadfael nach der Zeremonie erwartete. »Und ohne Zögern und Zaudern! Ich sage Euch aufrichtig, ich neige ehrfürchtig das Haupt vor ihm. Glaubt Ihr, Winifred hat ein Auge auf seine Schönheit geworfen, als sie ihn als den ihren erwählte? Die Waliser verbergen ihre Freude nicht, wenn sie einen hübschen Menschen sehen.«
»Ihr seid ein unverbesserlicher Heide«, erwiderte Cadfael behaglich, »aber die Dame müßte inzwischen an Euch gewöhnt sein. Glaubt nur nicht, daß Ihr sie erschrecken könnt; es gibt kaum etwas, was sie zu ihrer Zeit nicht gesehen hat. Und wäre ich in ihrem Reliquienschrein gewesen, dann hätte ich diesen Jungen ebenso zu mir berufen, wie sie es tat. Sie erkannte seinen Wert, als sie ihn sah. Er hat beinahe schon Bruder Jerome um den Finger gewickelt!«
»Das wird nicht von Dauer sein«, sagte Hugh lachend. »Hat der Junge seinen eigenen Namen behalten?«
»Es kam ihm gar nicht in den Sinn, ihn zu ändern.«
»Das tun ja auch nicht alle«, erwiderte Hugh, wieder ernst werdend. »Diese beiden, die aus Hyde kamen - Humilis und Fidelis -, ihre Namen stellen große Ansprüche, nicht wahr? Wir kennen den früheren Namen unseres Bruder Demut, er braucht keinen anderen. Was wissen wir über Bruder Treu? Ich frage mich, welcher Name zuerst da war.«
»Der Junge ist ein zweitgeborener Sohn«, erklärte Cadfael.
»Der ältere bekam das Land, er entschied sich für die Kutte.
Wer könnte ihm bei seiner Behinderung einen Vorwurf machen? Humilis sagt, sein eigenes Noviziat sei noch nicht ganz beendet gewesen, als der junge Mann kam, und sie hätten zueinander gefunden und seien enge Freunde geworden. Vielleicht wurden sie zusammen geweiht, und die Namen… wer weiß, welcher von ihnen zuerst seinen Namen wählte?«
Sie blieben vor dem Torhaus stehen und blickten zur Kirche zurück. Rhun und Fidelis waren zusammen herausgekommen, zwei bemerkenswert schön anzusehende Geschöpfe, die im Gleichtakt nebeneinander herschritten, nahe und vertraut, doch ohne sich zu berühren. Rhun sprach angeregt. Fidelis zeigte Spuren von Vorsicht und Ängstlichkeit, doch hauptsächlich wirkte er aufmerksam und freudig. Rhuns frische Tonsur war entblößt und der Sonne ausgesetzt, das helle Haar umgab den Kopf wie ein Heiligenschein.
»Die beiden sind oft mit Rhun zusammen«, erklärte Cadfael, der sie beobachtete. »Kein Wunder; Rhun rührt jede Seele, die ein Stück, wie etwa eine Stimme, eingebüßt hat.« Er verriet nicht, was der Ältere der beiden verloren hatte. »Rhun spricht für beide. Eine Schande, daß er noch nicht sehr gebildet ist.
Keiner der beiden
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