Ein Ganz Besonderer Fall
verschmiert worden war. Cadfael und Humilis hatten den Jungen im Skriptorium zurückgelassen, wo er den verschnörkelten goldenen Buchstaben ausmalen konnte, und Arzt und Patient waren zusammen ins Dormitorium zurückgekehrt.
»Gut geschlossen«, erklärte Cadfael, der mit seiner Arbeit zufrieden war, »und die Wundränder sind fest und sauber. Ihr braucht die Verbände bald nicht mehr; behaltet sie aber noch ein oder zwei Tage darauf, damit sich die neue Haut, die noch dünn ist, nicht reibt.«
Sie waren recht gut miteinander vertraut geworden, und obwohl beide genau wußten, daß die bloße Heilung der aufgebrochenen, eiternden Wunde nicht wirklich beheben konnte, was Humilis quälte, zogen sie es vor, dieses Thema höflich auszusparen und die bescheidene Freude an dem zu genießen, was sie erreicht hatten.
Als sie draußen auf der Steintreppe Schritte hörten, erkannten sie sofort, daß diese Füße Stiefel trugen und nicht die Sandalen eines Klosterbruders. Doch war keine Spannkraft in den Schritten, kein jugendlicher Übereifer, und tatsächlich trat ein düster dreinblickender junger Mann in den Schatten vor der Zelle. Er hatte sich auf dem Rückweg von Lai nicht beeilt, da er über eine Enttäuschung berichten mußte. Doch versprochen hatte er es, und so war er gekommen.
»Nick!« Humilis begrüßte ihn mit großer Freude und Zuneigung. »So schnell schon zurück! Ihr seid willkommen wie der helle Tag, aber ich hätte gedacht…« Er unterbrach sich, denn selbst im trüben Licht in der Zelle war zu erkennen, daß alle Freude aus dem Gesicht des jungen Mannes gewichen war. »Was zieht Ihr so ein langes Gesicht? Ich sehe, daß es nicht gegangen ist, wie Ihr es gewünscht habt.«
»Nein, mein Herr.« Nicholas trat langsam ein und beugte vor den beiden älteren Männern das Knie. »Es ging nicht gut.«
»Das tut mir leid, aber man kann nicht immer Erfolg haben.
Seid Ihr schon mit Bruder Cadfael bekannt? Ich verdanke ihm die beste Pflege, die man sich denken kann.«
»Wir haben uns bei meinem letzten Besuch kennengelernt«, erklärte Nicholas und brachte ein halbherziges Lächeln zustande. »Ich stehe dafür ebenfalls in seiner Schuld.«
»Sprecht nicht so viel von mir«, sagte Humilis lächelnd und seufzend. »Ihr sorgt Euch viel zu sehr um mich; ich bin hier in guten Händen und habe es gut getroffen. Setzt Euch nur und erzählt, was Euch nicht gelang.«
Nicholas ließ sich auf den Hocker neben dem Bett fallen, in dem Humilis aufrecht saß, und erzählte mit bemerkenswert knappen Worten, was er zu sagen hatte: »Ich habe drei Jahre zu lange gewartet. Kaum einen Monat, nachdem Ihr in Hyde die Kutte angezogen habt, legte Julian Cruce in Wherwell den Schleier an.«
»Wirklich!« schnaufte Humilis. Er schwieg eine Weileund verdaute die Neuigkeit. »Ich frage mich nur… warum hätte sie so etwas tun sollen, wenn es nicht wirklich ihr Herzenswunsch war? Doch bestimmt nicht meinetwegen! Nein, sie kannte mich ja gar nicht, sie hatte mich nur einmal gesehen und muß mich damals vergessen haben, bevor ich ihr den Rücken kehrte.
Vielleicht war sie sogar froh…, daß sie endlich tun konnte, was sie schon immer wollte, wenn man sie nur gelassen hätte…« Er dachte einen Augenblick stirnrunzelnd nach und versuchte sich zu erinnern, wie das kleine Mädchen gewesen war. »Nick, Ihr habt mir gesagt, daran erinnere ich mich genau, wie sie meine Nachricht aufgenommen hat. Sie sei keineswegs verzweifelt gewesen, sondern völlig gefaßt und höflich, sie habe meine Entscheidung freimütig gebilligt und mir verziehen. Das habt Ihr gesagt!«
»So war es, mein Herr«, erwiderte Nicholas aufrichtig, »doch froh kann sie nicht gewesen sein.«
»Ah, vielleicht war sie trotzdem froh. Ich kann’s ihr nicht verdenken. Sie mag bereit gewesen sein, den ausgewählten Ehemann zu akzeptieren, doch hätte sie sich an einen mehr als zwanzig Jahre älteren Mann gebunden, der ihr fremd war.
Warum sollte sie nicht froh gewesen sein, als ich ihr die Freiheit anbot - nein, als ich sie ihr sogar aufdrängte? Sie muß sie so genutzt haben, wie sie selbst es wollte; vielleicht sehnte sie sich danach.«
»Sie wurde nicht gezwungen«, räumte Nicholas widerstrebend ein. »Ihr Bruder sagt, das Mädchen habe sich selbst so entschieden. Der Vater sei sogar dagegen gewesen und habe nur zugestimmt, weil sie es unbedingt wollte.«
»Dann ist es gut«, stimmte Humilis mit einem erleichterten Seufzen zu. »Dann können wir nur hoffen, daß sie
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