Ein Ganz Besonderer Fall
freinehmen. Ihr kommt in einem sehr günstigen Augenblick, denn zufällig ist er gerade in meinem Haus zu Gast.«
Der älteste Junge wollte unauffällig zur Haustür schleichen, doch sein Vater zupfte ihn am Ärmel und hielt ihn mit einem raschen Blick auf. »Dieser Bursche hier ist Adams Patenkind und Namensvetter«, sagte Walter arglos und schob ihn mit der Hand, die ihn gerade erst zurückgehalten hatte, nach vorn.
»Führe den Herrn Sheriff hinein, Junge. Ich ziehe mir den Mantel an und komme gleich nach.«
Es war nicht das, was der junge Adam vorgehabt hatte, doch er gehorchte, ob nun aus Furcht vor seinem Vater oder aus Vertrauen darauf, daß dieser wußte, was zu tun war. Doch sein sommersprossiges Gesicht war düster, als er den Sheriff durch die Tür in den großen Raum führte, der seinen Eltern zugleich als Wohnraum und Schlafzimmer diente. Ein Fenster ohne Vorhang, das sich zum Abhang über dem Fluß hin öffnete, ließ genug Licht in die Mitte der Kammer fallen, doch die Ecken lagen in einem nach Holz duftenden Zwielicht. An einem großen, groben Tisch saß ein stämmiger Mann mit braunem Bart und schütterem Haar. Er hatte die Ellbogen bequem auf den Tisch gestemmt, und vor ihm stand ein Becher Ale. Er hatte das wetterfeste Aussehen eines Menschen, der bis auf die schlimmste Jahreszeit ständig im Freien lebt, und seine entspannte Gelassenheit verriet unbekümmertes Selbstvertrauen. Die Frau, die gerade mit einer Kelle in der Hand aus der winzigen Küche kam, war ebenso großzügig gebaut wie er und hatte die gleiche, volle und braune Hautfarbe. Die Kinder hatten den drahtigen Körperbau, das dunkle Haar und die helle Haut, die in der Sonne rot anlief, vom Vater geerbt.
»Mutter«, sagte der Junge, »hier ist der Herr Sheriff, der nach Onkel Adam gefragt hat.«
Seine Stimme klang scheinheilig und laut. Er blieb einen Augenblick stehen und blockierte die Tür, bevor er ganz hineinging und Hugh vorbeiließ. Es war das beste, was er tun konnte, das offene Fenster war groß genug für einen gewandten Mann, der etwas auf dem Gewissen hatte, um hinauszuspringen und den Abhang zum Fluß hinunterzulaufen, den er jetzt im Sommer mühelos durchwaten konnte. Hugh erwärmte sich für den treuen Patensohn, doch er bemühte sich, ihn sein Lächeln nicht sehen zu lassen. Offenbar eine verträumte Seele, die in einem Sheriff nur jemand sah, der schlechter gestellten Menschen Schwierigkeiten machte. Doch Adam der Ältere blieb aufmerksam und interessiert noch einen Moment sitzen, bevor er aufstand und den Sheriff liebenswürdig begrüßte.
»Mein Herr, ich bin der, nach dem Ihr gefragt habt.«
Einer von Hughs Offizieren war inzwischen schon zum Abhang unter dem Fenster herumgekommen, während der andere die Pferde bewachte. Aber das konnten der Mann und der Junge nicht wissen. Adam hatte anscheinend genug erlebt, um nicht so leicht aus der Ruhe zu kommen oder sich zu ängstigen, und bisher sah er auch keinen Grund dazu.
»Keine Sorge«, sagte er. »Wenn es darum geht, daß einige von König Stephens Männern den Dienst verlassen haben, dann seid Ihr hier am falschen Ort. Ich habe die Erlaubnis, meine Schwester zu besuchen. Mag sein, daß sich einige davongestohlen haben, aber ich bin keiner von denen.«
Die Frau trat langsam und verwundert neben ihn, etwas verwirrt, aber nicht ängstlich. Sie hatte ein rundes, gesundes, rosiges Gesicht und ehrliche Augen.
»Mein Herr, mein Bruder ist von weit hergekommen, um mich zu besuchen. Daran ist doch nichts Unrechtes?«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Hugh und kam ohne große Umschweife, aber mit freundlichem Tonfall, zur Sache: »Ich forsche nach dem Verbleib einer Dame, die vor drei Jahren verschwunden ist. Was wißt Ihr von Julian Cruce?«
Mutter und Sohn und Walter, der gerade hinter Hugh den Raum betrat, zeigten blankes Unverständnis, doch Adam Heriet schien sofort zu wissen, worum es ging. Er erstarrte mitten in der Bewegung, halb von der Bank aufgestanden, stützte sich auf den Tisch und erwiderte Hughs Blick mit besorgtem, reglosen Gesicht. Er kannte den Namen, und der Klang hatte ihn drei Jahre zurückversetzt zu jener Reise, an deren Einzelheiten er sich jetzt erinnerte. Die Ereignisse tanzten ihm ungestüm durch den Kopf wie die Perlen eines Rosenkranzes in den Händen eines verängstigten Menschen. Doch er schien nicht verängstigt, nur wachsam gegenüber einer Gefahr, gegenüber den Schmerzen der Erinnerung. Und er mußte schnell denken und vielleicht
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