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Ein Ganz Besonderer Fall

Ein Ganz Besonderer Fall

Titel: Ein Ganz Besonderer Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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überall um ihn flackerten mitten in der Nacht kurze Blitze auf und erstarben sofort wieder im Dunkel. Für Augenblicke konnte er Bäume und Dächer und ferne Hügel sehen, die wieder verschwanden, ehe das Auge sie wirklich betrachten konnte.
    Und all dies in völligem Schweigen ohne jedes Donnergrollen, das die bleierne Stille durchbrechen konnte. Vorboten eines göttlichen Zorns oder einer unerforschlichen Gnade Gottes.

12. Kapitel
    Der Morgen kam hell, verhangen und still, die aufgehende Sonne zog wie eine Kupferscheibe herauf, der Mühlteich lag flach und unbewegt wie ein Zinnteller. Die Wellen, die Madogs Ruder warfen, hoben und senkten sich träge mit öliger Schwere, als er nach der Prim sein Boot vom Fluß hereinbrachte.
    Bruder Edmund hatte wegen des Unternehmens großes Aufhebens gemacht und war gar nicht froh, daß seinem Patienten ein solches Risiko zugemutet werden sollte, aber er konnte es nicht verhindern, da der Abt seine Erlaubnis gegeben hatte. Um sein Gewissen zu beruhigen, sorgte er dafür, daß alles getan wurde, um Humilis die Reise möglichst bequem zu machen, doch er blieb der Einschiffung fern, weil er mit anderen Aufgaben beschäftigt war. Cadfael und Fidelis trugen Humilis auf einer einfachen Bahre durch das Tor in der Klostermauer den Weg hinunter, der direkt zur Mühle und zum Mühlteich führte. Trotz der langen Knochen wog der Mann kaum mehr als ein halbwüchsiger Junge. Madog, einen Kopf kleiner und schmaler, hob ihn ohne sichtbare Anstrengung einfach mit den Armen auf und bat Fidelis, seinen Platz im Boot einzunehmen, damit der kranke Mann auf Decken gelagert werden und sich an die Knie des jungen Mannes anlehnen konnte, die zusätzlich mit Kissen gepolstert waren. Auf diese Weise würde er während der Reise nicht so schnell ermüden. Fidelis zog Humilis’ schmale Schultern sachte zurück, bis sie an seinen Unterschenkeln lagen und der Kopf, vor der Morgenluft geschützt, mit der Tonsur auf seinen Knien ruhte. Der Ring des dunklen Haars schien kräftig und jung, während alles andere geschwächt, ausgezehrt und alt anmutete. Nur die Augen flammten in der Aufregung dieses Unternehmens ungewöhnlich hell auf. Endlich wurde Humilis’ Herzenswunsch erfüllt. Nach allen großen Fahrten, nach der mehrmaligen Überquerung der Meere und Kontinente, nach Schlachten und Siegen und großem Ehrgeiz war sein letztes Abenteuer eine Reise, die nur wenige Meilen einen englischen Fluß hinaufführte, um ein bescheidenes Anwesen in einer friedlichen englischen Grafschaft zu besuchen.
    Glück, dachte Cadfael, während er ihn beobachtete, besteht oft aus kleinen Dingen, nicht aus großen. An die kleinen Dinge erinnern wir uns, wenn Zeit und Sterblichkeit uns einholen, und an den kleinen Landmarken orientieren wir uns, wenn wir demütig in eine andere Welt ziehen.
    Er nahm Madog einen Augenblick beiseite, bevor er sie abfahren ließ. Die beiden im Boot waren gebannt, der eine vom hellen Tag und dem Himmel über dem Gesicht, vom grünen und strahlenden Land außerhalb des Klosters, der zweite von seinem geliebten Schützling. Keiner achtete auf irgend etwas anderes.
    »Madog«, sagte Cadfael ernst, »wenn Euch etwas Ungewöhnliches auffällt… wenn es etwas Seltsames gibt, das Euch erstaunt… dann sprecht um Gottes Willen mit niemand darüber. Sagt es nur mir.«
    Madog sah ihn von der Seite an und blinzelte wissend durch seine buschigen Brauen. Er sagte: »Und Ihr, vermute ich, werdet dann überhaupt nicht erstaunt sein! Ich kenne Euch doch! Ich kann in einer dunklen Nacht so weit sehen wie jeder andere Mann. Wenn es etwas zu erzählen gibt, dann sollt Ihr der erste sein und von mir aus der einzige, der es erfährt.«
    Er klopfte Cadfael kräftig auf die Schulter, löste das Halteseil, das er um einen schief stehenden Weidenstumpf geschlungen hatte, und stellte den Fuß mit der Leichtigkeit eines Jungen auf die Kante des Bootes, um es in einer einzigen Bewegung vom Ufer abzustoßen und sich hineinzusetzen. Das düster funkelnde Wasser hob und senkte sich träge zwischen Boot und Ufer. Madog nahm die Ruder auf und lenkte den Kahn mühelos in den abfließenden Strom, der in der Hitze lag wie ein erschöpfter Mensch, müde und schläfrig, aber immer noch lebendig und gemächlich bewegt.
    Cadfael blieb am Ufer stehen und sah ihnen nach. Als das Boot wendete, strahlte das Morgenlicht, so dunstig es auch war, hell in die Gesichter der beiden Reisenden, in das junge Gesicht und das alte Gesicht; das eine

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