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Ein Ganz Besonderer Fall

Ein Ganz Besonderer Fall

Titel: Ein Ganz Besonderer Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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aufmerksam, schützend und ernst, das andere nach oben gewandt und vor Freude über diesen Glückstag lächelnd. Beide hatten leuchtende graue Augen und schienen höchstens etwas eingeschüchtert von dem Unternehmen, auf das sie sich eingelassen hatten. Das Boot beschrieb einen Halbkreis, die Ruder tauchten ein, und dann fiel das Licht aus dem Osten auf Madogs gedrungene, kräftige Gestalt.
    Aus seinen kurzen Studien der antiken Schriften wußte Cadfael, daß es einen Fährmann namens Charon gegeben hatte, dem die Seelen anvertraut wurden, wenn sie diese Welt verließen. Auch er ließ sich von den Passagieren bezahlen und wies sie sogar zurück, wenn sie nicht zahlen konnten. Doch er stellte den Seelen, die er in die Ewigkeit entführte, keine Decken und Kissen und Planen zur Verfügung. Und er hatte sich nie um die Suche und Rettung der verlorenen Seelen gekümmert, die der Fluß als Tribut forderte. Madog mit dem Totenboot war ein besserer Fährmann.
    Am Wasser ist es immer etwas kühl, so drückend die Luft auch wird und so tief der Wasserstand auch sinkt. Auf dem stillen, metallisch glänzenden Severn gab es zumindest die Illusion eines Lufthauchs, eines Atemzuges von unten, der die Hitze von oben zu mildern schien, und Humilis konnte gerade eben einen dünnen Arm über den Bootsrand strecken und die Finger ins Wasser des Flusses tauchen, an dessen Ufer er geboren war. Fidelis versorgte ihn aufmerksam und stützte mit geöffneten Händen den in einem Kissen ruhenden Kopf, so daß er in den aneinandergelegten Handflächen wie in einer Schale liegen konnte und sich nicht anstrengen mußte. Später würde er vielleicht die Hände zurückziehen, um sie abzukühlen, aber im Augenblick war es noch nicht nötig. Er saß über dem nach oben gekehrten, verträumten Gesicht und verlagerte vorsichtig die Hände, wenn Humilis nach links oder rechts blickte und versuchte, alles aufzunehmen und sich an die beiden Ufer zu erinnern, an denen sie vorbeiglitten. Fidelis spürte keinen Kampf nahen, er war nicht müde und empfand fast keinen Kummer. Er hatte so lange mit einem ganz bestimmten Kummer gelebt, daß dieser sich freundschaftlich in sein Wesen eingefügt hatte, wie ein willkommener vertrauter Gast. Hier im Boot, von allem anderen abgetrennt, fand er eine ebenso tiefe und schmerzende Freude.
    Sie mußten zuerst die ganze Stadt umkreisen, denn der Severn zog sich von der Abtei aus wie ein Burggraben um die Stadtmauern und verwandelte die Stadt, abgesehen von der Spitze, die von der Burg gedeckt und geschützt wurde, beinahe in eine Insel. Als sie Madogs Westbrücke erreichten, über welche die Straße nach Wales führte, wurden die Windungen des Stromes enger, so daß abwechselnd beide Wangen der steigenden, kupfernen Sonne zugewandt waren. Hier gab es noch genug Wasser, wenn der Stand auch unterhalb der sonst im Sommer gewohnten Höhe lag. Einige Sandbänke waren aufgetaucht, doch Madog kannte sie alle und ruderte kräftig und sicher, sich seiner Fähigkeiten bewußt, hindurch.
    »An diese Gegend erinnere ich mich gut«, sagte Humilis lächelnd, als sie sich dem Ufer von Frankwell näherten und der große Bogen im Norden der Stadt sie auf ihren westlichen Kurs zurückbrachte. »Für mich ist es eine köstliche Freude, mein Freund, aber ich fürchte, für Euch ist es harte Arbeit.«
    »Nein«, erwiderte Madog, der, wenn er auch seine Anliegen vertreten konnte, in der englischen Sprache recht einsilbig war.
    »Nein, dieses Wasser ist mein Lebensunterhalt und mein ganzes Leben. Ich arbeite mit Freuden hier.«
    »Selbst im Winter?«
    »Bei jedem Wetter«, erwiderte Madog und blickte kurz zum Himmel hinauf, der sich wie ein kupfernes Gewölbe über ihnen spannte, wolkenlos und dunstig.
    Hinter dem Vorort Frankwell, außerhalb der Stadtmauern und jenseits der Flußbiegung, fuhren sie zwischen weiten Feuchtwiesen, die immer noch gut genug bewässert waren, um das Gras grüner zu halten als auf den Anhöhen, und aus den schilfbewachsenen Ufern wehte ein kleiner kühler Hauch, als könnte die Erde, die überall sonst den Atem anhielt, hier noch Luft schöpfen. Dann kamen auf beiden Seiten hohe Uferböschungen, von denen aus sich alte, große Bäume über das Wasser neigten und bleierne Schatten warfen. Massige Weiden, deren Wurzeln halb ausgewaschen waren, lehnten sich von den Ufern herüber. Dann wurde das Land wieder flach und öffnete sich auf der rechten Seite, während sich das linke Ufer zu flachen, sandigen Terrassen unten

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