Ein Ganz Besonderer Fall
erreichen, ehe das Gewitter ausbrach.
Doch die ersten schweren Tropfen begannen zu fallen, als er die Vorstadt erreichte. Vor seinen Augen leerte sich die Straße, und alle Bewohner gingen in ihren Häusern in Deckung, schlossen die Türen und Läden vor dem Toben, das sie erwarteten. Als er das Torhaus der Abtei erreichte, verwarf er seine ursprüngliche Absicht, den Sturm hier abzuwarten, denn er war seinem Ziel schon sehr nahe. Der Himmel öffnete sich und sandte einen Schauer herab, der so undurchsichtig und blendend war, daß Nicholas von einer Seite zur anderen schwankte, als er die Brücke überquerte, unfähig, die Richtung zu halten. Es kam ihm vor, als wäre er in der entvölkerten Stadt in einer leeren Welt der einzige Mensch. Nirgends regte sich etwas.
Er blieb unter dem Torbogen stehen, um zu Atem zu kommen und sich die Augen auszuwischen. Er schüttelte die Regentropfen ab. Bevor er die Burg erreichte, mußte er die ganze Stadt Shrewsbury durchqueren, aber Hughs Haus an der St. Marys Church war nicht weit entfernt. Er mußte nur noch die gewundene Wyle hinauf und in eine ebene Seitenstraße einbiegen. Hugh konnte ebensogut dort sein wie auf der Burg.
Zumindest konnte er auf dem Weg zum High Cross, bevor es zum Torhaus der Burg hin wieder bergab ging, dort anhalten und nachfragen. Nasser als er schon war, würde er bestimmt nicht mehr werden. Er stieg den Hügel hinauf. Vernünftigere Menschen lugten durch Ritzen in ihren geschlossenen Läden heraus und sahen ihm zu, wie er mit gesenktem Kopf durch die Sintflut eilte. Der Donner grollte und knallte in einem Himmel, der dunkel war wie zu Mitternacht, und Blitze zuckten und trieben die Meute hinter ihm her. Das Pferd war unruhig, aber es war gut erzogen und schob sich gehorsam, doch vor Angst zitternd weiter.
Hughs Hoftore standen offen, und im Windschatten des Hauses konnte er etwas Schutz finden. Sobald die Hufe auf den Pflastersteinen zu hören waren, ging die Tür der Halle auf, und ein Bursche kam aus den Ställen gerannt, um das Pferd in Sicherheit zu bringen. Aline lugte besorgt in die Dunkelheit hinaus und winkte den Reisenden herein.
»Kommt herein, ehe Ihr ertrinkt«, sagte sie, ganz die sorgende Gastgeberin, als Nicholas in den Schutz der Tür stampfte und seinen durchnäßten Umhang fallen ließ, den er nicht ins Haus mitnehmen wollte. Sie sahen einander ernst an, denn es war zu dunkel für ein rasches Erkennen. Dann kam die Erinnerung, und sie neigte lächelnd den Kopf. »Ihr seid Nicholas Harnage! Ihr wart bei Eurem ersten Besuch hier in Shrewsbury bei uns zu Gast. Jetzt erinnere ich mich. Vergebt mir mein Zögern, aber ich bin nicht daran gewöhnt, daß es am Nachmittag aussieht, als wäre es Mitternacht. Kommt herein und laßt mich trockene Kleider für Euch suchen - allerdings fürchte ich, daß Euch Hughs Sachen etwas eng sind.«
Ihre Offenheit und Freundlichkeit erwärmten ihn rasch, doch konnte sie ihn nicht von der bedrückenden Pflicht abhalten, die er hier zu erfüllen hatte. Er sah an ihr vorbei. Constance bewachte den Tyrannen Giles und hielt ihn fest an der Hand, damit er nicht die Sintflut als neues Freizeitvergnügen begrüßte und einfach hinausrannte.
»Ist der Herr Sheriff nicht da? Ich muß so schnell wie möglich mit ihm sprechen. Ich bringe böse Neuigkeiten.«
»Hugh ist auf der Burg, aber er wird am Abend zurückkommen. Kann es nicht warten? Wenigstens, bis dieses Gewitter nachläßt. Es kann nicht lange dauern.«
Nein, er konnte nicht warten. Er würde weitergehen, egal, wie das Wetter war. Er bedankte sich bei ihr und war in seiner Entschlossenheit fast unhöflich, legte sich wieder den nassen Mantel um die Schultern, nahm dem Burschen das Pferd ab und trottete zum High Cross. Aline seufzte, zuckte die Achseln und ging hinein. Sie schloß die Tür und sperrte das Chaos aus.
Böse Neuigkeiten! Was konnte das bedeuten? Hatte es mit König Stephen und Robert von Gloucester zu tun? Waren die Versuche, die Gefangenen auszutauschen, gescheitert? Oder hatte es mit dem persönlichen Anliegen des jungen Mannes zu tun? Aline kannte die Geschichte nur in groben Umrissen und empfand ein mildes, trauriges Interesse - ein Mädchen, das von ihrem Verlobten freigegeben wurde, ein geliebter Knappe, der zu ihr geschickt wurde, um es ihr mitzuteilen, und der zu bescheiden oder zu vernünftig war, um sofort die Zuneigung zu zeigen, die er zu ihr gefaßt hatte. Lebte das Mädchen überhaupt noch? Es war besser, man erfuhr es ein
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