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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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abwärts, während Will auf einer Decke lag, das Gesicht in der Sonne, die Arme ausgestreckt, als nähme er ein Sonnenbad. Ich saß neben ihnen auf dem Rasen und aß mein Sandwich. Ich ging während der Mittagspause kaum noch weg.
    «Warum?»
    «Reine Neugier. Es interessiert mich, wie Sie Ihre Zeit verbringen, wenn Sie nicht hier sind.»
    «Na ja … heute Abend steht eine kurze Runde Kampfsport auf dem Programm, dann fliege ich zum Abendessen mit dem Hubschrauber nach Monte Carlo. Auf dem Heimweg trinke ich vielleicht in Cannes noch einen Cocktail. Wenn Sie … sagen wir so um zwei Uhr heute Nacht aus dem Fenster schauen, winke ich Ihnen vom Helikopter aus zu.» Ich klappte mein Sandwich auf, um den Belag zu inspizieren. «Wahrscheinlich lese ich das Buch zu Ende.»
    Will sah zu Nathan auf. «Zehn Mäuse», sagte er und grinste.
    Nathan griff in seine Hosentasche. «Immer das Gleiche», murmelte er.
    Ich starrte sie an. «Was ist immer das Gleiche?», fragte ich, während Nathan Will das Geld in die Hand legte.
    «Er hat gesagt, Sie würden ein Buch lesen. Ich habe gesagt, Sie würden fernsehen. Er gewinnt immer.»
    Meine Hand mit dem Sandwich darin erstarrte in der Luft. «Immer? Sie wetten darum, wie langweilig mein Leben ist?»
    «Dieses Wort würden wir nie benutzen», sagte Will. Der leicht schuldbewusste Ausdruck in seinen Augen strafte ihn allerdings Lügen.
    Ich setzte mich gerade hin. «Damit ich das ganz genau verstehe. Sie beide setzen also echtes Geld darauf, ob ich am Freitagabend entweder zu Hause sitze und ein Buch lese oder zu Hause sitze und fernsehe?»
    «Nein», sagte Will. «Ich hatte zusätzlich noch einen Zehner darauf gewettet, dass Sie dem Marathon-Mann beim Training zusehen.»
    Nathan legte Wills Bein ab. Dann nahm er seinen Arm und begann, ihn vom Handgelenk aufwärts zu massieren.
    «Und was wäre, wenn ich sage, dass ich in Wahrheit etwas ganz anderes mache?»
    «Aber Sie machen nie etwas anderes», sagte Nathan.
    «Der gehört mir», sagte ich und nahm Will den Zehner aus der Hand. «Weil Sie nämlich alle beide falschliegen.»
    «Sie haben gesagt, dass Sie Ihr Buch lesen!», protestierte Will.
    «Jetzt, wo ich das hier habe», sagte ich und schwenkte den Zehnpfundschein, «gehe ich ins Kino. Da haben Sie’s. Das ist das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen, oder wie auch immer Sie es nennen wollen.»
    Ich stand auf, steckte das Geld ein und schob den Rest meines Sandwiches in die braune Papiertüte zurück. Ich lächelte, als ich von den beiden wegging, aber ohne dass ich richtig verstand, warum, brannten Tränen in meinen Augen.
    Ich hatte an diesem Morgen eine Stunde vor dem Kalender verbracht, bevor ich zum Granta House gefahren war. An manchen Tagen saß ich einfach nur auf dem Bett, starrte ihn an, den Marker in der Hand, und überlegte, wohin ich mit Will fahren könnte. Ich glaubte eigentlich nicht, dass ich Will von weiter entfernten Ausflugszielen überzeugen konnte, und sogar mit Nathans Unterstützung wirkte die Vorstellung von einer Übernachtung außerhalb beängstigend.
    Ich las die Lokalzeitung, überflog Ankündigungen zu Fußballturnieren und Dorffesten, aber nach der Katastrophe auf der Pferderennbahn befürchtete ich immer, Wills Rollstuhl könnte auf einer feuchten Wiese stecken bleiben. Außerdem hatte ich Bedenken, dass er sich in einer Menschenmenge zur Schau gestellt fühlen könnte. Und alles, was mit Pferden zu tun hatte, kam nicht in Frage, und das machte in einer Gegend wie unserer einen beträchtlichen Anteil der Freizeitaktivitäten aus. Ich wusste auch, dass Patricks Marathonläufe uninteressant für ihn waren und ihn Kricket und Rugby kaltließen. An manchen Tagen fühlte ich mich vollkommen gelähmt von meiner eigenen Unfähigkeit, mir etwas Neues einfallen zu lassen.
    Vielleicht hatten Will und Nathan ja recht. Vielleicht war ich einfach langweilig. Vielleicht war ich der ungeeignetste Mensch auf der Welt, um auf etwas zu kommen, das Wills Lebensmut aufflammen lassen konnte.
    Lesen oder fernsehen.
    Wenn man es so sah, konnte man kaum anderer Meinung sein.

    Nachdem Nathan gegangen war, entdeckte mich Will in der Küche. Ich saß an dem kleinen Tisch, schälte Kartoffeln für sein Abendessen und sah nicht auf, als er mit seinem Rollstuhl im Türrahmen stehen blieb. Er betrachtete mich so lange, dass meine Ohren unter seinen prüfenden Blicken schließlich rot anliefen.
    «Wissen Sie», sagte ich schließlich, «ich hätte vorhin richtig fies zu Ihnen

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