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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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sein können. Ich hätte Sie darauf hinweisen können, dass Sie selbst ja auch nichts unternehmen.»
    «Ich glaube nicht, dass Nathan besonders viel darauf gesetzt hätte, dass ich tanzen gehe», sagte Will.
    «Ich weiß, dass es nur Spaß ist», fuhr ich fort und ließ ein langes Stück Kartoffelschale auf den Tisch fallen. «Aber Sie haben dafür gesorgt, dass ich mich richtig beschissen fühle. Wenn Sie schon auf mein langweiliges Leben wetten, müssen Sie es mir dann wirklich auch noch sagen? Hätten Sie und Nathan das nicht als eine Art Insiderwitz für sich behalten können?»
    Er sagte eine ganze Weile nichts. Als ich endlich aufblickte, beobachtete er mich. «Es tut mir leid», sagte er.
    «Danach sehen Sie aber nicht aus.»
    «Na ja … okay … vielleicht wollte ich, dass Sie es hören. Ich wollte, dass Sie über das nachdenken, was Sie tun.»
    «Ach, also darüber, wie ich mein Leben nutzlos verstreichen lasse?»
    «Ja, eigentlich schon.»
    «Meine Güte, Will. Ich wünschte, Sie würden aufhören, mir zu erzählen, was ich zu tun habe. Was ist, wenn es mir gefällt, vor dem Fernseher zu sitzen? Was ist, wenn ich keine Lust habe, etwas anderes zu machen als ein Buch zu lesen?» Meine Stimme war schrill geworden. «Was ist, wenn ich abends müde bin? Was ist, wenn ich meine Freizeit nicht mit Aktionismus ausfüllen möchte?»
    «Aber es könnte ein Tag kommen, an dem Sie sich wünschen, Sie hätten es getan», sagte er leise. «Wissen Sie, was ich an Ihrer Stelle tun würde?»
    Ich legte das Schälmesser weg. «Ich vermute, das werden Sie mir gleich erzählen.»
    «Ja. Und das ist mir kein bisschen peinlich. Ich würde in die Abendschule gehen. Ich würde mir eine Ausbildung als Schneiderin oder Modedesignerin suchen oder was auch immer Sie wirklich machen möchten.» Er nickte in Richtung meines Minirocks im Sechziger-Jahre-Pucci-Stil, den ich aus einer von Großvaters alten Übergardinen genäht hatte. «Ich würde herausfinden, was ich tun könnte, das nicht zu teuer ist – Fitnesskurse, Schwimmen, ehrenamtliche Arbeit, egal. Ich würde lernen, ein Instrument zu spielen, lange Spaziergänge mit dem Hund anderer Leute unternehmen oder …»
    «Schon gut, ich habe verstanden», sagte ich gereizt. «Aber ich bin nicht Sie, Will.»
    «Glücklicherweise.»
    Dann saßen wir eine Weile bloß da. Will rollte in die Küche und fuhr den Stuhl hoch, sodass wir uns über den Tisch hinweg direkt ansahen.
    «Okay», sagte ich. «Was haben Sie damals nach der Arbeit unternommen? Das so unheimlich bedeutend war.»
    «Tja, nach der Arbeit war nicht mehr viel vom Abend übrig, aber ich habe versucht, jeden Tag etwas zu machen. Ich bin in einer Indoor-Anlage klettern gewesen, habe Squash gespielt und war auf Konzerten und in neuen Restaurants.»
    «Das ist leicht, wenn man Geld hat», widersprach ich.
    «Und ich bin laufen gegangen. Ja, tatsächlich», sagte er, als ich eine Augenbraue hochzog.
    «Und ich habe versucht, die Sprachen der Länder zu lernen, in die ich eines Tages reisen wollte. Und ich habe mich mit meinen Freunden getroffen …» Er zögerte einen Moment. «Und ich habe Reisen geplant. Ich habe Orte gesucht, die ich nicht kannte, Dinge, die mich erschrecken und an meine Grenzen bringen würden. Ich bin einmal durch den Ärmelkanal geschwommen. Ich habe Gleitschirmfliegen gemacht. Ich bin auf Berge gestiegen und auf Skiern wieder runtergefahren. Ja», sagte er, als ich ihn unterbrechen wollte, «ich weiß, dass man für vieles davon Geld braucht, aber für vieles auch nicht. Und davon abgesehen, wie, glauben Sie, habe ich mein Geld verdient?»
    «Reiche Leute abgezockt?»
    «Ich habe herausgefunden, was mich glücklich macht, und ich habe herausgefunden, was ich erreichen möchte, und ich habe die nötige Ausbildung gemacht, damit ich den Job bekomme, der beides verbindet.»
    «Bei Ihnen klingt das unheimlich einfach.»
    «Es ist ja auch einfach», sagte er. «Es bedeutet nur gleichzeitig eine Menge Anstrengung. Und die Leute wollen sich nicht anstrengen.»
    Mittlerweile war ich mit den Kartoffeln fertig. Ich warf die Schalen in den Abfalleimer und stellte die Pfanne für später auf den Herd. Dann drehte ich mich um und setzte mich auf den Tisch, sodass ich mit baumelnden Beinen vor ihm saß.
    «Sie hatten ein tolles Leben, oder?»
    «Ja, hatte ich.» Er kam etwas näher und fuhr seinen Sitz weiter hoch, sodass wir wieder beinahe auf Augenhöhe waren. «Und deshalb nerven Sie mich auch so, Clark. Weil

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