Ein ganzes halbes Jahr
Webseiten interessierte. Da waren Freundinnen, die fragten, wie sie ihre Partner darin unterstützen konnten, wieder genügend Selbstvertrauen aufzubauen, um sich aus dem Haus zu wagen, Ehemänner, die Fragen zu neuen pflegemedizinischen Apparaten hatten. Es gab Werbeanzeigen für Rollstühle, die auf Sand fahren konnten und geländegängig waren, für flexible Hebevorrichtungen und aufblasbare Badehilfen.
In den Chatrooms benutzten sie einen ganz eigenen Code. Ich stellte fest, dass RMV für Rückenmarksverletzung stand, NB für Nichtbehinderte und UTI für eine Infektion. Ich erfuhr, dass eine C4/C5-Rückenmarksverletzung viel schlimmer war als eine C11/C12, bei der in vielen Fällen die Arme oder der Oberkörper noch bewegt werden konnten. Es gab Geschichten von Liebe und Verlust, von Menschen, die versuchten, das Leben mit ihren invaliden Ehepartnern oder Kindern zu meistern. Da waren Frauen mit Schuldgefühlen, weil sie darum gebetet hatten, dass ihre Männer aufhörten, sie zu schlagen – und dann konnten sie es tatsächlich nie mehr. Da waren Männer, die ihre gelähmten Frauen verlassen wollten, aber Angst vor der Reaktion der Leute hatten. Da war Erschöpfung und Verzweiflung und sehr viel schwarzer Humor – Witze über explodierende Katheterbeutel, anderer Leute gutgemeinte Idiotie und Missgeschicke im alkoholisierten Zustand. Aus dem Rollstuhl zu kippen, schien weit verbreitet zu sein. Und es gab Diskussionsforen über Selbstmord – von Betroffenen, die sich umbringen wollten, und von solchen, die dazu aufriefen, sich mehr Zeit zu geben, um zu lernen, dieses Leben mit anderen Augen zu betrachten. Ich las die Beiträge und bekam das Gefühl, einen heimlichen Blick in Wills Kopf zu werfen.
Zur Mittagszeit ging ich aus der Bibliothek, um bei einem kurzen Spaziergang einen klaren Kopf zu bekommen. Ich gönnte mir ein Garnelensandwich und setzte mich auf die Mauer, um den Schwänen auf dem Teich unterhalb der Burg zuzuschauen. Es war warm genug, um die Jacke auszuziehen, und ich hob mein Gesicht der Sonne entgegen. Es hatte etwas merkwürdig Beruhigendes zu sehen, dass sich die übrige Welt einfach weiterdrehte wie immer. Nachdem ich den gesamten Vormittag in den Bezirken derer verbracht hatte, die an den Rollstuhl gefesselt waren, empfand ich es schon als Freiheit, hinausgehen und mein Sandwich in der Sonne essen zu können.
Als ich damit fertig war, ging ich in die Bibliothek zurück und setzte mich wieder an den Computer. Dann fasste ich mir ein Herz und begann, eine Nachricht zu schreiben.
Hallo – ich bin die Freundin/Pflegehilfe eines 35-jährigen C5/C6-Tetraplegikers. Er war in seinem früheren Leben sehr erfolgreich und dynamisch und hat Probleme, sich an sein neues Leben zu gewöhnen. Ehrlich gesagt, weiß ich sogar, dass er nicht weiterleben will, und ich überlege, ob ich ihn dazu bringen kann, seine Meinung zu ändern. Könnte mir bitte jemand sagen, wie ich das vielleicht schaffe? Hat jemand Ideen für Unternehmungen, die ihm Spaß machen könnten, oder einen Vorschlag, wie ich ihn ermutigen kann, seinen Standpunkt zu ändern? Ich bin für jeden Rat dankbar.
Ich unterschrieb mit Busy Bee. Dann lehnte ich mich auf dem Stuhl zurück, kaute ein bisschen an meinem Daumennagel und drückte schließlich auf ‹absenden›.
Als ich mich am nächsten Vormittag an den Computer setzte, hatte ich vierzehn Antworten bekommen. Ich loggte mich in den Chatroom ein und schaute ungläubig auf die Namensliste und die Antworten, die zu jeder Tages- und Nachtzeit von Leuten auf der ganzen Welt gekommen waren. Die erste Nachricht lautete:
Liebe Busy Bee,
willkommen in unserem Forum. Bestimmt ist dein Freund sehr froh darüber, dass sich jemand Gedanken um ihn macht.
Da bin ich nicht so sicher, dachte ich.
Die meisten von uns haben irgendwann einen echten Tiefpunkt erlebt. Vielleicht ist dein Freund gerade dort angekommen. Lass nicht zu, dass er dich abschiebt. Bleib positiv. Und erinnere ihn daran, dass nicht er es ist, der über unseren Eintritt und unseren Abschied von der Welt zu entscheiden hat, sondern Gott. Der Herr hat in seiner Weisheit beschlossen, das Leben deines Freundes zu ändern, und darin liegt vielleicht eine Lehre, die Gott …
Ich scrollte zur nächsten Nachricht weiter.
Liebe Bee,
man kann es nicht schönreden, gelähmt zu sein ist scheiße. Wenn dein Freund außerdem noch früher sehr aktiv war, ist es besonders schwer. Das hat mir geholfen: viel Gesellschaft, auch wenn mir nicht
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