Ein ganzes halbes Jahr
Sommer kam, Ausflüge zur Burg schwieriger wurden, außerdem schloss es die Hälfte der anderen Ideen aus, die ich gehabt hatte – Märkte, Freilufttheater, Konzerte.
Auf der Suche nach Vorschlägen fragte ich die Online-Tetraplegiker, was sie am liebsten auf der Welt machen würden, und erhielt beinahe immer die gleiche Antwort: «Sex.» Dazu erhielt ich eine Menge unerbetener Detailinformationen.
Sie waren mir keine große Hilfe. Ich hatte noch acht Wochen, und mir waren die Ideen ausgegangen.
Ein paar Tage nach dem Gespräch an der Wäscheleine kam ich nach Hause zurück und sah Dad im Flur stehen. Das wäre schon an sich ungewöhnlich genug gewesen (in den Wochen davor hatte er sich tagsüber beinahe vollständig auf das Sofa zurückgezogen, angeblich, um Großvater Gesellschaft zu leisten), aber jetzt trug er ein frisch gebügeltes Hemd, hatte sich rasiert, und im Flur roch es nach Old Spice. Ich bin ziemlich sicher, dass er diese Flasche Aftershave seit mindestens 1974 besaß.
«Da bist du ja.»
Ich zog die Tür hinter mir zu. «Ja, da bin ich.»
Ich war müde und angespannt. Ich hatte die gesamte Busfahrt nach Hause damit verbracht, übers Handy mit einem Mann vom Reisebüro darüber zu reden, wohin ich mit Will fahren konnte, aber inzwischen waren wir beide mit unserem Latein am Ende. Ich musste Will weiter von zu Hause wegbringen. Aber es schien keinen einzigen Ort außerhalb eines Fünfmeilenradius um die Burg zu geben, den Will besuchen wollte.
«Ist es okay, wenn du heute allein isst?»
«Klar. Ich kann mich auch später mit Patrick im Pub treffen. Warum?» Ich hängte meinen Mantel an einen freien Haken.
Die Garderobe war viel leerer, seit Treenas und Thomas’ Jacken nicht mehr dort hingen.
«Ich lade deine Mutter heute zum Essen ein.»
Ich checkte meinen inneren Kalender. «Habe ich ihren Geburtstag vergessen?»
«Nein. Wir haben etwas zu feiern.» Er senkte die Stimme, als wäre es ein Geheimnis. «Ich habe einen Job.»
«Ehrlich?» Und jetzt sah ich es: Sein ganzer Körper schien leichter geworden zu sein. Er stand wieder aufrechter da, ein Lächeln im Gesicht. Er sah um Jahre jünger aus.
«Dad, das ist ja phantastisch.»
«Ja, das ist es. Deine Mutter ist überglücklich. Und du weißt ja, dass sie schwere Zeiten durchgemacht hat, mit Großvaters Schlaganfall und Treenas Auszug und so weiter. Also führe ich sie heute Abend aus und verwöhne sie ein bisschen.»
«Und was für eine Arbeit hast du?»
«Ich werde Verwaltungsleiter. Oben auf der Burg.»
Ich blinzelte. «Aber das ist …»
«Mr. Traynor. Stimmt. Er hat mich angerufen und gesagt, er würde jemanden suchen. Will hat ihm erzählt, dass ich gerade zur Verfügung stehe. Ich war heute Nachmittag dort, um mich vorzustellen, und jetzt habe ich einen Monat Probezeit. Ich fange am Samstag an.»
«Also arbeitest du für Wills Dad?»
«Na ja, er sagte, sie müssten die Probezeit einhalten, damit die Vorschriften erfüllt werden, aber er wüsste keinen Grund, warum ich die Stelle hinterher nicht bekommen sollte.»
«Das … das ist toll», sagte ich. Die Neuigkeit hatte mich ein bisschen aus dem Gleichgewicht gebracht. «Ich wusste nicht mal, dass sie eine Stelle ausgeschrieben hatten.»
«Ich auch nicht. Aber es ist einfach großartig. Dieser Mann versteht was vom Handwerk, Lou. Ich habe mit ihm über Grüneichen geredet, und er hat mir ein paar Sachen gezeigt, die der Vorgänger gemacht hat. Du würdest es nicht glauben. Einfach furchtbar. Er meinte, er wäre sehr beeindruckt von meinen Arbeiten.»
Er war so lebhaft, wie ich ihn seit Monaten nicht mehr gesehen hatte.
Mum war neben ihm aufgetaucht. Sie hatte Lippenstift aufgelegt und trug ihre guten Pumps. «Und er bekommt einen Transporter. Seinen eigenen Transporter. Und die Bezahlung ist gut, Lou. Es ist sogar ein bisschen mehr, als dein Dad in der Möbelfabrik bekommen hat.»
Sie blickte zu ihm auf, als wäre er eine Art Superheld. Als sie mich ansah, forderte mich ihre Miene auf, das Gleiche zu tun. Ich konnte an dem Gesicht meiner Mutter eine Million Botschaften ablesen, und diese hier lautete, dass ich meinem Dad seinen großen Moment gönnen sollte.
«Das ist toll, Dad. Wirklich.» Ich machte einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn.
«Na ja, im Grunde müssen wir uns bei Will dafür bedanken. Was für ein großartiger Kerl. Ich bin ihm verflucht dankbar, dass er an mich gedacht hat.»
Ich hörte sie gehen, den Wirbel, den Mum vor dem Flurspiegel
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