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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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wir einigten uns auf ein kleines Café, das auf dem Burggelände aufgemacht hatte. Es war das Café, das mich meinen Job gekostet hatte.
    Es war natürlich viel eleganter als das Buttered Bun – eichengetäfelt und mit weiß gebleichten Tischen und Stühlen aus Holz. Im Angebot waren selbstgemachte Suppe mit richtigem Gemüse und edle Kuchen. Normalen Kaffee gab es nicht, nur Cappuccinos, Milchkaffees und Latte macchiatos. Und es gab auch keine Bauarbeiter und keine Mädchen aus dem Friseursalon. Während ich an meinem Tee nippte, fragte ich mich, was aus der Pusteblumen-Lady geworden war und ob sie sich in diesem Café wohl genug fühlen würde, um den ganzen Vormittag Zeitung zu lesen.
    «Louisa, entschuldigen Sie, dass ich zu spät bin.» Camilla Traynor eilte herein, die Handtasche unter den Arm geklemmt. Sie trug eine graue Seidenbluse und marineblaue Hosen.
    Ich widerstand dem Impuls aufzustehen. Wenn ich mit ihr sprach, hatte ich immer das Gefühl, in einer Prüfung zu sitzen.
    «Ich bin bei Gericht aufgehalten worden.»
    «Es tut mir leid. Dass ich Sie von der Arbeit weghole, meine ich. Ich war einfach … also, ich war nicht sicher, ob ich das aufschieben kann.»
    Sie hob eine Hand und teilte der Bedienung, die etwas entfernt stand, mit lautlosen Lippenbewegungen ihre Bestellung mit. Dann setzte sie sich mir gegenüber hin. Unter ihrem Blick fühlte ich mich, als wäre ich durchsichtig.
    «Will hat einen Rechtsanwalt kommen lassen», sagte ich. «Ich habe herausgefunden, dass er auf Testamente spezialisiert ist.» Mir war keine behutsamere Art eingefallen, auf die ich das Gespräch eröffnen konnte.
    Sie sah mich an, als hätte ich ihr eine Ohrfeige gegeben. Zu spät wurde mir klar, dass sie vielleicht gedacht hatte, ich würde mit einer guten Nachricht auf sie warten.
    «Ein Rechtsanwalt? Sind Sie sicher?»
    «Ich habe im Internet nach ihm gesucht. Er hat seine Kanzlei in der Regent Street. In London», fügte ich überflüssigerweise hinzu. «Er heißt Michael Lawler.»
    Sie blinzelte heftig, als hätte sie Schwierigkeiten, meine Worte zu verdauen. «Hat Ihnen Will das erzählt?»
    «Nein. Ich glaube, er wollte nicht, dass ich etwas davon mitbekomme. Ich … ich habe den Namen des Rechtsanwalts aufgeschnappt und ihn im Netz gesucht.»
    Ihr Cappuccino kam. Die Bedienung stellte ihn vor Mrs. Traynor auf den Tisch, aber sie schien nichts davon mitzubekommen.
    «Möchten Sie noch etwas anderes?», fragte das Mädchen.
    «Nein danke.»
    «Wir haben heute Karottenkuchen im Angebot. Den machen wir selbst. Er hat eine köstliche Buttercremefüllung …»
    «Nein» , sagte Mrs. Traynor scharf. «Danke sehr.»
    Die junge Frau blieb noch einen Moment stehen, damit wir mitbekamen, wie beleidigt sie war, dann zog sie ab und wedelte beim Gehen mit ihrem Bestellblock.
    «Es tut mir leid», sagte ich. «Aber Sie haben mir gesagt, dass Sie über alles Wichtige informiert werden wollen. Ich war die halbe Nacht wach und habe überlegt, ob ich es Ihnen sagen soll.»
    Ihr Gesicht war kreidebleich.
    Ich wusste, wie sie sich fühlte.
    «Und wie ist seine Stimmung? Haben Sie … hatten Sie noch neue Ideen? Für Ausflüge?»
    «Er ist nicht besonders wild darauf.» Ich erzählte ihr von Paris und von meiner Liste mit Vorschlägen.
    Und während ich redete, sah ich, wie sie mir mit den Gedanken schon voraus war, wie sie rechnete, Dinge abschätzte.
    «Egal wohin», sagte sie schließlich. «Ich bezahle es. Jede Reise, die Sie wollen. Ich bezahle für Sie. Und für Nathan. Nur … versuchen Sie einfach nur, ihn davon zu überzeugen.»
    Ich nickte.
    «Und falls Ihnen noch etwas einfällt … um uns Zeit zu verschaffen, dann sagen Sie es. Ich bezahle Sie natürlich länger als die sechs Monate.»
    «Darum geht es wirklich nicht.»
    Dann saßen wir schweigend beisammen, jede in ihre Gedanken versunken. Gelegentlich sah ich sie verstohlen an, und mir fiel auf, dass ihre perfekte Frisur einen grauen Haaransatz hatte und die Schatten unter ihren Augen genauso dunkel waren wie bei mir. Es hatte mir nicht geholfen, ihr von dem Rechtsanwalt zu erzählen, es war keine Erleichterung, dass ich meine Befürchtungen an sie weitergegeben hatte – aber ich hatte keine andere Wahl gehabt. Mit jedem Tag, der verging, lag die Latte höher. Das Geräusch der Kirchturmuhr, die zwei Uhr schlug, riss sie aus ihren Gedanken.
    «Ich muss zurück zur Arbeit. Bitte lassen Sie mich jeden Einfall wissen, auf den … Sie kommen, Louisa. Und wenn wir

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