Ein ganzes halbes Jahr
Zeit. Das habe ich früher ständig gemacht.»
Ich sah zum Haus zurück. «Wirklich, das mache ich lieber nicht.» Schon bei der Vorstellung hatte sich mein Magen zusammengekrampft.
«Ah. Sie wollen wieder mal kein Risiko eingehen.»
«Nein, das ist es nicht.»
«Kein Problem. Dann beenden wir einfach unseren langweiligen Spaziergang und gehen in den langweiligen kleinen Anbau zurück.»
Ich wusste, dass er mich auf den Arm nahm. Aber manchmal erwischte er mich richtig mit seinem Ton. Ich dachte an Deirdre im Bus, an ihre Bemerkungen darüber, wie gut es war, dass eins von uns Mädchen zurückgesteckt hatte. Ich war diejenige, die das kleinkarierte Leben führte und belanglose Ziele verfolgte.
Ich schaute zu dem Labyrinth hinüber, auf seine dunklen, dichten Buchshecken. Ich benahm mich lächerlich. Vielleicht benahm ich mich schon seit Jahren lächerlich. Es war vorbei. Lange vorbei. Und das Leben ging weiter.
«Merken Sie sich einfach, in welche Richtung Sie abbiegen, und beim Rückweg machen Sie es genau andersherum. Es ist ganz leicht.»
Ich ließ ihn auf dem Weg zurück, bevor ich noch einmal darüber nachdenken konnte. Ich holte tief Luft und ging an einem Warnschild vorbei. ‹Keine Kinder ohne Begleitung Erwachsener›. Dann tauchte ich mit schnellen Schritten zwischen die dunklen, feuchten Hecken ein, in denen noch die Regentropfen glitzerten.
So schlimm ist es nicht, so schlimm ist es nicht , murmelte ich automatisch vor mich hin. Das sind nur ein paar struppige, alte Hecken. Ich bog rechts ab, dann links durch einen Heckenspalt. Wieder rechts, dann links, und beim Gehen wiederholte ich im Kopf in umgekehrter Reihenfolge, wie ich abgebogen war. Rechts. Links. Heckenspalt. Rechts. Links.
Mein Herzschlag beschleunigte sich etwas, und ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Ich zwang mich dazu, an Will auf der anderen Seite der Hecke zu denken, wo er auf seine Uhr sah, um meine Zeit zu stoppen. Es war nur ein alberner Test. Ich war nicht mehr die naive junge Frau von damals. Ich war siebenundzwanzig Jahre alt. Ich wohnte mit meinem Freund zusammen. Ich hatte einen verantwortungsvollen Job. Ich war ein anderer Mensch.
Ich bog wieder ab, ging geradeaus weiter und bog wieder ab.
Und dann, wie aus dem Nichts, stieg Panik in mir auf wie bittere Galle. Ich glaubte, einen Mann zu sehen, der hinter einem Heckenknick hervorspähte. Ich sagte mir sofort, dass mir nur meine Einbildung einen Streich gespielt hatte, aber diese Selbstberuhigung führte dazu, dass ich die Reihenfolge vergaß, in der ich auf dem Rückweg abbiegen musste. Rechts. Links. Heckenspalt. Rechts. Rechts? Hatte ich jetzt etwas verwechselt? Mir blieb die Luft weg. Ich zwang mich weiterzugehen, nur um festzustellen, dass ich vollkommen die Orientierung verloren hatte. Ich blieb stehen und sah mich um, versuchte zu sehen, wohin die Schatten fielen, herauszufinden, wo Westen war.
Und als ich so dort stand, wurde mir klar, dass ich es nicht schaffen würde. Ich konnte nicht in dem Labyrinth bleiben. Ich wirbelte herum und begann in die Richtung zu gehen, in der ich Süden vermutete. Ich würde wieder hinausgehen. Ich war siebenundzwanzig Jahre alt. Mir ging es gut. Aber dann hörte ich ihre Stimmen. Hörte, wie sie mir hinterherpfiffen, das spöttische Gelächter. Ich sah sie, wie sie sich für Sekundenbruchteile zwischen Heckendurchgängen herausbeugten, fühlte, wie ich betrunken auf meinen Pumps herumschwankte, und das schmerzhafte Kratzen der Hecke, als ich bei dem Versuch, mich aufrecht zu halten, dagegenfiel.
«Ich will jetzt hier raus», hatte ich ihnen mit lallender, unsicherer Stimme gesagt. «Ich hab genug, Jungs.»
Und da waren sie alle verschwunden. Im Labyrinth herrschte Stille, nur ein fernes Wispern war zu hören, das vielleicht von ihnen kam, während sie sich auf der anderen Seite einer Hecke versteckten – aber vielleicht war es auch nur der Wind, der durchs Blattwerk fuhr.
«Ich will jetzt hier raus», hatte ich noch einmal gesagt und selbst gehört, wie unsicher ich klang. Ich hatte zum Himmel hinaufgeschaut und war angesichts der endlosen sternenfunkelnden Schwärze da oben kurz aus dem Gleichgewicht gekommen. Und dann machte ich einen Satz, als mich jemand um die Taille fasste – es war der Dunkelhaarige. Derjenige, der in Afrika gewesen war.
«Du kannst noch nicht gehen», sagte er. «Du verdirbst uns den Spaß.»
Und da hatte ich es gewusst. Hatte es an der Art gespürt, auf die er seine Hand um meine
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