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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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Hüfte legte. Mir war klargeworden, dass eine Waage sich gesenkt hatte, dass Hemmungen gefallen waren. Und ich hatte gelacht, hatte versucht, ihn wegzuschieben, als wäre das alles tatsächlich nur Spaß. Ich wollte ihn nicht merken lassen, dass ich es wusste. Ich hörte ihn nach seinen Freunden rufen. Und ich riss mich von ihm los, rannte plötzlich, versuchte, den Ausgang zu finden, sank in das feuchte Gras ein. Ich hörte sie, ihre erhobenen Stimmen ganz nah, ihre Körper unsichtbar, und meine Kehle schnürte sich vor Angst zusammen. Ich war zu verwirrt, um mich orientieren zu können. Um mich herum schwankten die hohen Hecken, schlugen nach mir. Ich rannte weiter, schob mich um Ecken, stolperte, duckte mich in Öffnungen, versuchte, von ihren Stimmen wegzukommen. Aber ich fand den Ausgang nicht. Jedes Mal, wenn ich um eine Ecke kam, hatte ich nur wieder einen Heckenabschnitt vor mir und eine höhnische Stimme im Ohr.
    Ich taumelte auf eine Öffnung zu und glaubte einen überwältigenden Augenblick lang, ich wäre in Freiheit. Aber dann erkannte ich, dass ich wieder im Zentrum des Labyrinths stand, dort, von wo aus ich losgelaufen war. Dann schwankte ich, weil ich sie alle dort stehen sah, als hätten sie einfach nur auf mich gewartet.
    «Seht ihr», sagte einer von ihnen und packte mich am Arm. «Ich habe euch doch gesagt, dass sie reif ist. Komm schon, Lou-Lou, gib mir einen Kuss, und ich zeig dir, wo es rausgeht.» Seine Stimme war leise und affektiert.
    «Gib uns allen einen Kuss, und wir zeigen dir alle, wo es rausgeht.» Ihre Gesichter verschwammen ineinander.
    «Ich … will einfach, dass ihr …»
    «Komm schon, Lou. Du magst mich doch, oder nicht? Du hast schließlich den ganzen Abend auf meinem Schoß gesessen. Ein Kuss. Das kann doch nicht so schwer sein, oder?»
    Ich hörte jemanden kichern.
    «Und dann zeigst du mir, wie ich rauskomme?» Meine Stimme klang jämmerlich, das hörte ich selbst.
    «Nur ein Kuss.» Er schob sich dichter zu mir.
    Ich fühlte seinen Mund auf meinem, eine Hand an meinem Oberschenkel.
    Er trat zurück, und ich nahm wahr, dass sich sein Atemrhythmus geändert hatte. «Und jetzt ist Jake dran.»
    Ich weiß nicht mehr, was ich dann sagte. Einer hielt mich am Arm fest. Ich hörte das Lachen, spürte eine Hand in meinem Haar, einen anderen Mund auf meinem, beharrlich, fordernd, und dann …»
    «Will …»
    Ich schluchzte inzwischen, saß zusammengesunken in einer Ecke des Labyrinths. «Will.» Ich sagte seinen Namen wieder und wieder, meine Stimme war heiser, kam irgendwo aus den Tiefen meiner Brust. Dann hörte ich ihn von weit weg, von jenseits der Hecke.
    «Louisa? Louisa, wo sind Sie? Was ist los?»
    Ich kauerte in der Ecke, so tief unter die Hecke geduckt wie nur möglich. Mein Blick verschwamm unter Tränen, die Arme hatte ich eng um mich geschlungen. Ich konnte nicht hinaus. Ich würde für immer hier gefangen sein. Niemand würde mich finden.
    «Will …»
    «Wo …»
    Und da war er. Direkt vor mir.
    «Es tut mir leid», sagte ich und sah mit verzerrtem Gesicht zu ihm auf. «Ich … ich schaffe es nicht.»
    Er hob seinen Arm ein paar Zentimeter. Es war das Maximum an Bewegung, das er schaffte. «O Gott, was ist …? Komm her, Clark.» Er rollte ein Stück vorwärts, dann sah er frustriert auf seine Arme hinunter. «Verdammte nutzlose Dinger … Es ist alles gut, okay? Einfach weiteratmen. Komm her. Einfach atmen. Ganz langsam.»
    Ich wischte mir über die Augen. Bei seinem Anblick war meine Panik versiegt. Ich stand unsicher auf und versuchte, meinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu bekommen. «Tut mir leid. Ich … ich weiß auch nicht, was gerade passiert ist.»
    «Leidest du unter Klaustrophobie?» Sein Gesicht, nur Zentimeter von meinem entfernt, stand voller Sorge. «Ich wusste nicht, dass du wirklich nicht hineingehen wolltest. Ich dachte einfach … ich dachte einfach, du würdest bloß …»
    Ich schloss kurz die Augen. «Ich will jetzt hier raus.»
    «Halt dich an meiner Hand fest. Wir gehen raus.»
    Innerhalb von Minuten hatte er mich hinausgeführt. Er kannte das Labyrinth auswendig, erzählte er mir auf dem Weg, mit leiser, beruhigender Stimme. Als Junge hatte er es als Herausforderung betrachtet, sich ganz genau darin auszukennen. Ich verflocht meine Finger mit seinen, und die Wärme seiner Hand wirkte tröstlich. Als mir klar wurde, wie nah am Eingang ich die ganze Zeit gewesen war, kam ich mir lächerlich vor.
    Wir blieben bei einer Bank in

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