Ein ganzes halbes Jahr
werdet.»
Alicia erwiderte etwas – ich konnte nicht verstehen, was sie sagte –, wurde aber von Rupert unterbrochen. «Komm, Lissa. Ich glaube, wir gehen besser. Will, wir sind nicht hierhergekommen, um uns deinen Segen zu holen. Wir fanden aber, es gehört sich so. Lissa dachte … na ja, wir beide dachten einfach, du solltest es von uns erfahren. Tut mir leid, Kumpel. Ich … ich hoffe, dass sich deine Situation verbessert, und ich hoffe, dass du Kontakt mit uns hältst, wenn sich alles … du weißt schon … wenn sich alles ein bisschen beruhigt hat.»
Dann hörte ich Schritte, und ich beugte mich über den Holzkorb, als wäre ich gerade erst hereingekommen. Ich hörte sie durch den Flur gehen, und dann tauchte Alicia vor mir auf. Sie sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen.
«Kann ich kurz das Badezimmer benutzen?», fragte sie mit erstickter Stimme.
Ich hob langsam den Finger und deutete stumm in die Richtung der Badezimmertür.
Da sah sie mich scharf an, und mir wurde klar, dass sie in meinem Gesicht lesen konnte, was ich dachte. Ich war noch nie besonders gut darin, meine Gefühle zu verbergen.
«Ich weiß, was Sie denken», sagte sie nach einem Moment. «Aber ich habe es versucht. Ich habe es wirklich versucht. Monatelang. Und er hat mich einfach immer wieder weggestoßen.» Sie biss kurz die Zähne zusammen. Ihr Blick war wütend. «Er wollte mich nicht hier haben. Das hat er mir sehr deutlich zu verstehen gegeben.»
Sie schien darauf zu warten, dass ich etwas sagte.
«Es geht mich wirklich nichts an», sagte ich schließlich.
Wir sahen uns an.
«Wissen Sie, man kann nur jemandem helfen, der sich auch helfen lassen will», sagte sie.
Und damit ging sie.
Ich wartete ein paar Minuten, bis ich ihr Auto wegfahren hörte, dann ging ich in die Küche. Ich setzte Wasser auf, obwohl ich keinen Tee wollte. Ich blätterte eine Zeitschrift durch, die ich schon gelesen hatte. Schließlich ging ich wieder in den Flur und hob mit einem Keuchen den Holzkorb hoch, schleppte ihn zum Wohnzimmer, stieß damit leicht an die Tür, bevor ich eintrat, damit Will wusste, dass ich kam.
«Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht …», fing ich an.
Das Zimmer war leer.
Und dann hörte ich das Krachen. Ich rannte in den Flur, und erneut krachte es, gefolgt von dem Geräusch splitternden Glases. Der Lärm kam aus Wills Schlafzimmer. O Gott, bitte, er darf sich nicht verletzt haben. Ich war panisch – Mrs. Traynors Ermahnung hallte in meinem Kopf wider. Ich hatte ihn länger als fünfzehn Minuten allein gelassen.
Ich rannte durch den Flur, kam vor dem Schlafzimmer schlitternd zum Stehen und hielt mich mit beiden Händen am Türrahmen fest. Will saß mitten im Zimmer in seinem Rollstuhl, ein Spazierstock lag quer über den Armstützen, sodass er rechts und links herausragte wie eine Turnierlanze. Kein einziges Foto stand mehr auf dem langen Regal. Die teuren Rahmen lagen zerbrochen auf dem Boden, überall auf dem Teppich glitzerten Glasscherben. Sogar auf seinem Schoß lagen Holzsplitter und Scherben. Ich nahm das Bild der Zerstörung in mich auf, und mein Herzschlag beruhigte sich langsam, als ich erkannte, dass er nicht verletzt war. Will atmete schwer, als hätte ihn das, was er da angerichtet hatte, unglaublich angestrengt.
Er drehte den Rollstuhl um, unter den Reifen knirschte Glas. Wir sahen uns an. In seinem Blick lag unendliche Erschöpfung. Und die Warnung, ihn nur ja nicht zu bemitleiden.
Ich schaute auf seinen Schoß, dann auf den Boden um ihn herum. Ich sah das Bild von ihm und Alicia, deren Gesicht halb von einem verbogenen Silberrahmen verdeckt war.
Ich schluckte, starrte das Bild an und hob dann langsam meinen Blick zu ihm. Diese wenigen Sekunden waren die längsten, die ich je erlebt habe.
«Kann das Ding eine Reifenpanne kriegen?», sagte ich schließlich und nickte in Richtung seines Rollstuhls. «Ich habe nämlich keine Ahnung, wo ich den Wagenheber ansetzen müsste.»
Er riss die Augen auf. Einen Moment lang war ich überzeugt, dass ich es jetzt endgültig verbockt hatte. Aber dann glitt die Andeutung eines Lächelns über sein Gesicht.
«Am besten rühren Sie sich erst mal nicht», sagte ich. «Ich hole den Staubsauger.»
Ich drehte mich um und hörte hinter mir den Spazierstock auf den Boden fallen. Als ich zur Schlafzimmertür hinausging, glaubte ich, ihn so etwas wie ‹Sorry› sagen zu hören.
Im Kings Head herrschte donnerstags abends immer viel Gedränge, und in
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