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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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der Sitzecke war es noch größer. Ich saß eingequetscht zwischen Patrick und einem Mann, der anscheinend Rutter hieß. Abwechselnd starrte ich auf die Hufeisen, die an die Eichenbalken über meinem Kopf genagelt worden waren, und auf die Fotos von der Burg, die an den Querträgern hingen. Dabei versuchte ich, wenigstens ein bisschen so auszusehen, als würde ich mich für das Gespräch interessieren, in dem es hauptsächlich um Körperfettwerte und Kohlenhydratanteile ging.
    Ich hatte schon immer geglaubt, dass die vierzehntäglichen Treffen der Hailsbury Triathlon Terrors der schlimmste Albtraum jedes Wirts sein mussten. Ich war die Einzige, die Alkohol trank, und meine einsame Chipstüte lag leer und zerknittert auf dem Tisch. Alle anderen nippten an Mineralwasser oder überprüften den Süßstoffgehalt ihrer Diät-Colas. Wenn sie endlich etwas zu essen bestellten, dann war es Salat, der mit keinem Blatt ein Vollfett-Dressing gestreift haben durfte, oder höchstens ein Stück Hühnchen – selbstverständlich ohne Haut. Ich bestellte oft Pommes, nur um zu erleben, wie sie alle so taten, als wollten sie nichts davon.
    «Phil hat bei vierzig Meilen schlappgemacht. Er behauptet, er hätte Stimmen gehört. Und seine Füße waren wie Blei. Er hatte so ein Zombie-Gesicht, wisst ihr?»
    «Ich habe mir ein Paar von diesen neuen japanischen Laufschuhen anpassen lassen. Damit habe ich meine Bestzeit um fünfzehn Minuten unterboten.»
    «Fahrt bloß nicht mit einer weichen Fahrradtasche. Als Nigel damit im Tricamp ankam, hing sie rechts und links runter wie ein Kleiderbügel.»
    Ich konnte nicht sagen, dass ich die Treffen der Triathlon Terrors genoss, aber bei meiner Arbeitszeit und Patricks Trainingsplan war es eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen ich sicher sein konnte, ihn zu Gesicht zu bekommen. Er saß neben mir, die muskulösen Oberschenkel steckten trotz der extremen Kälte draußen nur in kurzen Hosen. Es war Ehrensache unter den Vereinsmitgliedern, so wenig Kleidung wie möglich zu tragen. Die Männer waren drahtig und mit merkwürdigen, teuren Sportsachen bekleidet, die angeblich besonders atmungsaktiv und federleicht waren. Sie hießen Scud oder Trig und zeigten sich gegenseitig ihre Muskeln, stellten Verletzungen zur Schau oder berichteten von der Zunahme ihrer Muskelmasse. Die Frauen waren ungeschminkt und hatten den rötlichen Teint der Menschen, denen es nichts ausmacht, bei eisigen Temperaturen meilenweit durch die Landschaft zu joggen. Sie betrachteten mich mit leichter Abscheu – oder sogar mit Unverständnis –, und ganz bestimmt schätzten sie mein Fett-Muskel-Verhältnis und fanden es mangelhaft.
    «Es war schrecklich», erzählte ich Patrick, wobei ich mir überlegte, ob ich mir Käsekuchen bestellen konnte, ohne dass sie mich alle mit ihren Blicken töteten. «Seine Freundin und sein bester Freund.»
    «Du kannst ihr doch keinen Vorwurf machen», sagte er. «Oder willst du mir erzählen, dass du bei mir bleiben würdest, wenn ich vom Hals abwärts gelähmt wäre?»
    «Klar würde ich das.»
    «Nein, würdest du nicht. Und ich würde es auch nicht erwarten.»
    «Tja, ich würde aber trotzdem bei dir bleiben.»
    «Aber ich wollte dich nicht dahaben. Ich wollte niemanden dahaben, der aus Mitleid bei mir bleibt.»
    «Wer sagt denn, dass es Mitleid wäre? Du wärst schließlich immer noch derselbe Mensch.»
    «Nein, wäre ich nicht. Ich wäre überhaupt nicht mehr derselbe Mensch.» Er verzog das Gesicht. «Ich würde nicht mehr leben wollen. Stell dir mal vor, du wärst bei jeder Kleinigkeit von anderen abhängig. Irgendwelche Fremden würden dir den Hintern abwischen und …»
    Ein Mann quetschte seinen rasierten Kopf zwischen uns. «Pat», sagte er, «hast du schon diesen neuen Gel-Drink ausprobiert? Letzte Woche ist einer davon in meinem Rucksack explodiert. So was hab ich echt noch nie erlebt.»
    «Nein, ich kenn das Zeug nicht. Mir reichen Bananen und Lucozade.»
    «Dazzer hat beim Norseman eine Diät-Cola getrunken. Und auf tausend Höhenmetern musste er alles wieder rauskotzen. Mann, haben wir gelacht.»
    Ich rang mir ein schwaches Lächeln ab.
    Der Mann mit dem rasierten Kopf verschwand wieder, und Patrick drehte sich zu mir. Er machte sich immer noch über Will Gedanken. «Gott. Stell dir mal vor, was man alles nicht mehr machen könnte …» Er schüttelte den Kopf. «Nicht mehr laufen, nicht mehr Rad fahren.» Dann sah er mich an, als wäre es ihm eben erst eingefallen. «Keinen Sex

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