Ein ganzes halbes Jahr
nicht tut.»
«Und was ist das genau? Beten?»
Sie warf mir das zu, was meine Mutter einen «altmodischen Blick» genannt hätte. «Sie müssen doch inzwischen wissen, dass niemand an Will herankommt, wenn er beschlossen hat, den Unnahbaren zu spielen.»
«Ich habe das Ganze jetzt verstanden», sagte ich. «Im Grunde bin ich nur da, um dafür zu sorgen, dass er die Abmachung einhält und es nicht tut, bevor die sechs Monate um sind. So einfach ist es doch, oder?»
«Nein, so einfach ist es nicht.»
«Und deshalb hat für Sie auch meine Qualifikation keine Rolle gespielt.»
«Ich dachte, Sie sind intelligent und fröhlich und anders. Sie haben nicht wie eine Krankenschwester ausgesehen. Sie haben sich nicht so benommen … wie all die anderen. Ich dachte … ich dachte, Sie könnten ihn aufheitern. Und das tun Sie auch … er ist fröhlicher mit Ihnen, Louisa. Als ich ihn gestern ohne diesen schrecklichen Bart gesehen habe … Sie scheinen einer der wenigen Menschen zu sein, die zu ihm durchdringen können.»
Das Bettzeug flog aus dem Fenster. Das Knäuel löste sich, und die Laken schwebten einen Moment lang graziös durch die Luft, bevor sie auf den Boden trafen. Zwei Kinder schnappten sich eines, rannten damit durch den kleinen Garten und ließen es hinter sich herflattern.
«Finden Sie nicht, es wäre fair gewesen, mir zu sagen, dass ich im Grunde zur Beobachtung eines Selbstmordkandidaten eingestellt wurde?»
Camilla Traynors Seufzer klang, als würde jemand gezwungen, einem Schwachsinnigen höfliche Erklärungen zu geben. Ich fragte mich, ob sie wusste, dass sie ihrem Gegenüber mit allem, was sie sagte, das Gefühl gab, ein Idiot zu sein. Ich fragte mich, ob sie das womöglich sogar absichtlich tat. Ich glaubte nicht, dass ich jemals imstande wäre, einem anderen ein derartiges Gefühl der Unterlegenheit einzuflößen.
«Das könnte man vielleicht für unser erstes Gespräch so sehen … aber ich gehe fest davon aus, dass Will sein Versprechen einhält. Er hat mir sechs Monate zugesagt, und die werde ich bekommen. Wir brauchen diese Zeit, Louisa. Wir brauchen diese Zeit, um ihm beizubringen, dass es Möglichkeiten gibt. Ich habe gehofft, er würde auf den Gedanken kommen, dass es für ihn doch ein lebenswertes Leben gibt, auch wenn es nicht das Leben ist, das er sich vorgestellt hat.»
«Aber all diese Lügen. Sie haben mich angelogen, und Sie belügen sich gegenseitig.»
Sie schien mich nicht zu hören. Sie drehte sich zu mir, nahm ein Scheckbuch aus ihrer Handtasche und zückte einen Stift.
«Hören Sie, wie viel wollen Sie? Ich verdopple Ihr Gehalt. Sagen Sie mir, wie viel Sie wollen.»
«Ich will Ihr Geld nicht.»
«Ein Auto. Ein paar Vergünstigungen. Bonuszahlungen …»
«Nein.»
«Dann … was kann ich tun, um Sie umzustimmen?»
«Es tut mir leid. Ich kann das nicht …»
Ich wollte aussteigen. Ihre Hand schoss vor. Dann lag sie auf meinem Arm, fremd und radioaktiv. Wir starrten auf die Hand.
«Sie haben einen Vertrag unterschrieben, Miss Clark», sagte sie. «Sie haben unterschrieben, dass Sie sechs Monate lang für uns arbeiten werden. Wenn ich richtig gerechnet habe, sind Sie erst zwei Monate bei uns gewesen. Also verlange ich, dass Sie Ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen.»
Ihre Stimme klang brüchig. Ich schaute auf ihre Hand. Sie zitterte.
Mrs. Traynor schluckte. «Bitte.»
Meine Eltern beobachteten das Auto von der Veranda aus. Ich sah sie, mit ihren Teebechern, die einzigen Menschen, deren Blick nicht auf das Nachbarhaus gerichtet war. Dann drehten sie sich unvermittelt weg, als sie mitbekamen, dass ich sie bemerkt hatte. Dad, fiel mir jetzt auf, trug die karierten Filzschlappen mit den Farbflecken vom Anstreichen.
Ich schob die Tür auf. «Mrs. Traynor, ich kann wirklich nicht dasitzen und warten, bis … es ist zu beklemmend. Ich will mich an dieser Sache nicht beteiligen.»
«Denken Sie noch einmal darüber nach. Morgen ist Karfreitag. Ich sage Will, dass Sie eine familiäre Verpflichtung haben, wenn Sie ein bisschen Zeit brauchen. Denken Sie über die Feiertage noch einmal nach. Aber bitte. Kommen Sie zurück. Kommen Sie zurück und helfen Sie Will.»
Ich ging ins Haus, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich setzte mich ins Wohnzimmer und starrte auf den Fernseher, während mir meine Eltern folgten, Blicke wechselten und so taten, als würden sie mich nicht beobachten.
Es dauerte beinahe elf Minuten, bis ich endlich hörte, dass Mrs. Traynor den
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