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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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Motor anließ und wegfuhr.

    Meine Schwester war noch keine fünf Minuten zurück, als sie mich zur Rede stellte. Sie polterte die Treppe hoch und riss die Tür zu meinem Zimmer auf.
    «Ja bitte, herein», sagte ich. Ich lag rücklings auf dem Bett, die Beine an der Wand hochgestreckt, und starrte an die Decke. Ich trug Strumpfhosen und blaue Paillettenshorts, die nun unvorteilhaft zurückgerutscht waren.
    Katrina stand an der Tür. «Stimmt es?»
    «Dass Dympna Grisham endlich ihr untreues, nichtsnutziges Lügenmaul von einem Mann vor die Tür gesetzt hat und …?»
    «Willst du mich verschaukeln? Was ist mit deinem Job?»
    Ich folgte dem Tapetenmuster mit meinem großen Zeh. «Ja, ich habe meine Kündigung eingereicht. Ja, ich weiß, dass Mum und Dad nicht besonders glücklich darüber sind. Ja, ja, ja, zu allem, was du mir gleich vorwerfen wirst.»
    Sie zog behutsam die Tür hinter sich zu, ließ sich aufs Bett plumpsen und sagte wütend: «Das glaub ich einfach nicht.»
    Sie schob meine Beine weg, sodass sie an der Wand herunterglitten. Ich richtete mich auf.
    «Au!»
    Sie war puterrot. «Ich glaub es einfach nicht. Mum ist am Ende. Dad tut so, als wäre nichts, aber er ist genauso fertig. Wie sollen sie jetzt mit dem Geld klarkommen? Du weißt, dass Dad jetzt schon Panik vor einer Kündigung hat. Warum zum Teufel hast du diesen tollen Job hingeschmissen?»
    «Halt mir keine Vorträge, Treen.»
    «Tja, irgendwer muss das ja wohl machen! Du kriegst nirgendwo anders so viel Geld. Und was glaubst du, wie sich so etwas in deinem Lebenslauf macht?»
    «Oh, und tu nicht so, als ob es dir um irgendetwas anderes ginge als um dich und deine Wünsche.»
    «Was?»
    «Dir ist es doch egal, was ich mache, solange du nur deine Überflieger-Karriere wiederbeleben kannst. Du brauchst mich nur, damit ich das Haushaltsgeld aufstocke und den verdammten Babysitter spiele. Du scheißt doch auf alle anderen.» Ich wusste, dass ich gemein und boshaft klang, aber ich konnte nicht anders. Meine Schwester hatte uns schließlich erst in diese katastrophale Situation gebracht. Jahrelang aufgestauter Ärger brach aus mir heraus. «Wir müssen alle irgendwelche grässlichen Jobs machen, damit die kleine Katrina ihren verdammten Ehrgeiz befriedigen kann.»
    «Es geht hier nicht um mich.»
    «Ach nein?»
    «Nein, es geht darum, dass du nicht imstande bist, den einzigen anständigen Job durchzuhalten, den du innerhalb von Monaten gefunden hast.»
    «Du hast keine Ahnung von diesem Job, okay?»
    «Ich weiß jedenfalls, dass das Gehalt weit über dem Mindestlohn liegt. Und mehr muss ich darüber nicht wissen.»
    «Im Leben geht es nicht immer nur ums Geld, weißt du?»
    «Ach ja? Dann kannst du ja runtergehen und das mal Mum und Dad erklären.»
    «Du kannst es dir jedenfalls bestimmt nicht erlauben, mir Vorträge übers Geld zu halten, nachdem du jahrelang keinen Cent zu diesem Haushalt beigesteuert hast.»
    «Du weißt, dass ich wegen Thomas nicht viel Luft habe.»
    Ich begann, meine Schwester aus dem Zimmer zu schieben. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann wir uns davor zum letzten Mal richtig gestritten hatten, aber in diesem Moment hatte ich unheimliche Lust, jemandem eine reinzuhauen, und ich wusste nicht, was passieren würde, wenn ich sie weiter vor mir hatte. «Verpiss dich einfach, Treen. Okay? Verpiss dich und lass mich allein.»
    Ich knallte die Tür hinter ihr zu. Und als ich sie schließlich langsam die Treppe hinuntergehen hörte, stellte ich mir lieber nicht vor, wie sie diese Situation vor meinen Eltern als einen weiteren Beweis für meine totale Unfähigkeit hinstellen würde, irgendetwas Sinnvolles im Leben anzufangen. Und ich stellte mir lieber nicht vor, wie das nächste Gespräch mit Syed im Jobcenter laufen würde, bei dem ich erklären musste, warum ich diese wahnsinnig gut bezahlte Stelle aufgegeben hatte. Und ich stellte mir lieber nicht vor, dass irgendwo in den Eingeweiden der Hühnerfabrik vermutlich noch ein Plastikoverall und eine Arbeitshaube lagen, auf denen mein Name stand.
    Ich legte mich wieder aufs Bett und dachte über Will nach. Über seine Wut und seine Traurigkeit. Darüber, was seine Mutter gesagt hatte – dass ich einer der wenigen Menschen wäre, die zu ihm durchdringen konnten. Ich dachte daran, wie er versucht hatte, nicht über den ‹Molahonkey-Song› zu lachen, während draußen goldene Schneeflocken am Fenster vorbeigezogen waren. Ich dachte an die warme Haut und das weiche Haar und die

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