Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
oder mit der soziale oder kulturelle Regeln gebrochen werden. So kann ein Kind im Supermarkt auf einen Fremden zugehen und ihn fragen: »Haben Sie einen elektrischen Rasenmäher?«, gefolgt von einem langen Monolog voll enzyklopädischem Wissen über Gartengeräte aller Art. Sobald ein Gespräch angefangen hat, scheint es keinen »Aus-Knopf« zu geben. Das Gespräch endet erst, wenn das Kind seinen Text bis zu Ende aufgesagt hat. Manchmal wissen die Eltern auch schon vorher genau, was das Kind als Nächstes sagen wird.
Dem Kind dagegen wird oft nicht bewusst sein, welche Wirkung sein Monolog auf den Zuhörer hat. Es erkennt die Hinweise nicht, mit denen er signalisiert, dass er das Gespräch beenden will. Man gewinnt den Eindruck, dass das Kind nur redet und nicht zuhört. Es fehlt das Bewusstsein für den Kontext, für soziale Hierarchien und Konventionen und es werden kaum Versuche unternommen, die Kommentare, die Gefühle und das Wissen des Gegenübers zu berücksichtigen.
Während die Person oft gerne lange Monologe hält, kann sie andererseits einen großen Widerwillen zeigen, an Gesprächen überhaupt teilzunehmen. Sie ist sehr wortreich, wenn es um das eigene Spezialinteresse geht, aber hält ein Gespräch ungern aufrecht, wenn es um ein Thema geht, das sie nicht interessiert. 14
Menschen mit Asperger-Syndrom sehen den Sinn eines Gesprächs offenbar hauptsächlich darin, Informationen aus zutauschen, etwas zu lernen oder jemanden zu informieren. Wenn aber keine nützliche Information ausgetauscht wird, warum soll man sich dann unterhalten?
Statt nachzufragen, wird einfach das Thema gewechselt
Beeinträchtigte Konversationsfähigkeiten kann man auch dann erkennen, wenn ein Gespräch »gerettet« werden soll. Ist man verwirrt ist, weil sich der Gesprächspartner unklar ausdrückt oder man seine Antwort nicht versteht, fragt man normalerweise nach, aber wechselt deshalb nicht das Thema. Jemandem mit Asperger-Syndrom kannes aber an Selbstvertrauen fehlen, seine Unsicherheit zu artikulieren oder nachzufragen, statt dessen entsteht eine lange Pause oder er wechselt abrupt zu einem Thema, mit dem er vertraut ist, z. B. sein Spezialinteresse. Dem Gespräch fehlt es also oft an Flexibilität in Bezug auf die Themen und Gedanken, möglicherweise kommen wichtige Ideen nicht zur Sprache. 15 Und es kann abrupte Themenwechsel enthalten oder Antworten, die nur am Rande mit dem ursprünglichen Thema zu tun haben. 16
Wenn der Gesprächspartner verwirrt ist, ist die Person mit Asperger-Syndrom oft nicht so flexibel, die Dinge mit anderen Worten zu umschreiben oder sie mit Gesten oder Metaphern zu erklären. Wird ein Kind mit Asperger-Syndrom etwas gefragt, so kann es sein, dass es die Antwort verweigert oder keine neuen Informationen bietet. 17 Dahinter muss kein fehlendes Interesse stecken, sondern es ist einfach ein weiteres Beispiel für die Schwierigkeit, ein Gespräch zu führen und in Gang zu halten.
Aussprechen, was einem gerade in den Sinn kommt
Ein ungewöhnliches Merkmal solcher Gespräche sind auch Bemerkungen, die offenbar überhaupt nichts mit dem Thema zu tun haben. Es kann sich um Wortassoziationen, Dialogfragmente aus früheren Gesprächen oder scheinbar völlig bizarren Äußerungen handeln. Es wird ausgesprochen, was einem als Erstes in den Sinn kommt, ohne darauf zu achten, wie das auf andere wirkt. In solchen Fällen wird der Gesprächspartner unsicher sein, ob er darauf reagieren oder zum eigentlichen Gespräch zurückkehren soll. Ich selbst ignoriere solche Bemerkungen meist. Oft besteht auch die Neigung, andere zu unterbrechen oder nicht zu Wort kommen zu lassen.
Solche Unterbrechungen können die anderen Gesprächsteilnehmer ärgern und als unhöflich empfunden werden. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um bewusste Respektlosigkeit, sondern um ein Merkmal des Asperger-Syndroms.
Warum Betroffene oft als »schlechte Zuhörer« gelten
Bei einem normalen Gespräch erwartet man Zeichen des Zuhörens, zum Beispiel Nicken, ein interessierter Gesichtsausdruck oder ein kurzes »Ja« oder »genau«, womit man zeigt, dass man zuhört und mitgeht. Das lässt sich auch an synchronen Gesten und Bewegungen erkennen, besonders bei miteinander vertrauten Gesprächspartnern. Bei einem Menschen mit Asperger-Syndrom werden diese Zeichen weniger ausgeprägt sein. Während bei Gesten, die Widerspruch signalisieren, meist weniger Probleme bestehen, fehlt es oft an Zeichen der Zustimmung, des aufmerksamen Zuhörens
Weitere Kostenlose Bücher