Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
als bei normalen Klienten, doch kann er als Mentor dienen, der ihn versteht und ihm Dinge erklärt. Dadurch wird derjenige in die Lage versetzt, seine Perspektive und seine Absichten besser auszudrücken. Ihm wird dann auch klarer, wie seine Worte und Handlungen sich auf andere auswirken.
Eine längere Psychotherapie kann also helfen, dass derjenige Schlüsselerlebnisse in seinem Leben besser versteht und besser in einer Welt klarkommt, die seine Perspektive und seine Absichten nicht immer richtig versteht. Die Frage: »Wo komme ich her?«, das Verstehen dessen, was das Asperger-Syndrom ausmacht, was man früher erlebt hat und wie die Symptome des Asperger-Syndroms diesen Menschen beeinflussen – das alles hilft in der Psychotherapie, den Klienten verstehen zu lassen, wer er ist. Er entwickelt eine Vorstellung seines Ichs.
Wer bin ich?
Irgendwann in der Kindheit bemerkt die Person, dass sie anders ist als andere Kinder. In Kapitel 1 wurden die vier möglichen psychologischen Reaktionen auf diese Erkenntnis geschildert:
Depression,
Flucht in die Fantasie,
Arroganz und
Überleben durch Nachahmung.
Eine Psychotherapie kann dabei helfen, dass derjenige ein realistisches Bild von sich selbst bekommt, bei dem er vor allem seine Stärken und nicht nur seine Schwächen erkennt.
Psychotherapeutischer Ansatz bei einer Depression
Eine Person mit Asperger-Syndrom ist oft sehr selbstkritisch. Das kann zu einer Depression führen. Caroline, eine autistische Jugendliche, sagte mir einmal: »Das Schlimmste daran, dass man sich selbst enttäuscht, ist, dass man sich nie ganz verzeihen kann.« Eine Psychotherapie kann helfen, die Selbstzweifel und Selbstkritik zu verringern. Das negative Selbstbild kann verbessert werden, indem man denjenigen dazu bringt, seine positiven Eigenschaften zu erkennen (das Verfahren wird in Kapitel 15 beschrieben) und dadurch lernt, dass er zwar anders, aber nicht weniger Wert ist als andere Menschen. Die Zusammenarbeit zwischen der Familie und wichtigen Personen im Leben des Klienten kann zu einer verstärkten Teilnahme an erfolgreichen und angenehmen Aktivitäten führen. Dadurch erlangt derjenige größeren sozialen Erfolg und sein Selbstwertgefühl wird gesteigert.
Flucht in die Fantasie – wann und wie sollte man gegensteuern?
Die Flucht in die Fantasie kann dann zum Problem werden, wenn die Fantasiewelt das reale Leben der Person bestimmt. Eine solche Flucht ist eine verständliche Reaktion, wenn man sich der Welt gegenüber entfremdet. Bei extremer Belastung kann sie aber auch zu einem Realitätsverlust führen, also zu einer Psychose. Das Kind stellt sich vor, es sei ein mächtiger und beliebter Superheld. Die Psychotherapie kann einem solchen Kind helfen, ein realistischeres Bild von sich zu gewinnen. Das basiert dann auf der Anerkennung der eigenen Stärken und das Kind muss sich dann nicht mehr mit seinen Schwächen bei der sozialen Integration und dem Vergleich mit sozial fähigeren anderen Kindern herumschlagen. Ist derjenige vorher immer wiederHänseleien ausgesetzt gewesen, kann er schließlich davon überzeugt sein, dass die anderen grundsätzlich böse seien. Mit einer Psychotherapie und der Förderung von Theory-of-Mind-Fähigkeiten kann dieses einseitige Bild geradegerückt werden.
Arroganz – was ist hilfreich?
Derjenige kann sich selbst aufgrund eines entsprechenden Kompensationsverhaltens als höherwertig gegenüber anderen wahrnehmen. Von diesen wird er dann als arrogant wahrgenommen. Auch hier kann eine Therapie zu einem realistischeren Selbstbild beitragen. Sie wird die Erkenntnis vermitteln müssen, wie sich ein solches Verhalten auf Beziehungen und die Fähigkeit, Freunde zu gewinnen, auswirkt. Auch sollte demjenigen klargemacht werden, dass man auch einmal Fehler zugeben kann und dass man Wutgefühle gegenüber Menschen, die den eigenen hohen Erwartungen nicht gerecht werden, vermeiden sollte.
Nachahmen: vom Schauspielern zur eigenen Identität
Verwendet eine Person ein festgelegtes »Skript« oder schlüpft sie in eine bestimmte Rolle, um sozial akzeptiert zu werden und die eigenen sozialen Schwächen nicht so stark hervortreten zu lassen, so hat das den Nachteil, dass sie sich von sich selbst entfremdet und nicht begreift, wer sie wirklich ist. Die Persönlichkeit wird dann durch das imitierte, sozial erfolgreiche Vorbild bestimmt. Mir sagte einmal ein Erwachsener, der früher ein professioneller Schauspieler war: »Ich habe erst als Erwachsener zu meiner
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