Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
eigentlichen Identität gefunden.« All die Jahre zuvor wusste er nicht, wer er war. Er beherrschte nur seine Rollen. Die Psychotherapie hilft also bei der Suche nach der eigenen Identität sowie dem Bewusstsein und der Akzeptanz seiner selbst.
Die eigene Identität finden und stärken
Der erste Schritt auf dem Weg zur eigenen Identität ist zu verstehen, was das Asperger-Syndrom ausmacht und welche seiner Merkmale sich im eigenen Fähigkeits- und Persönlichkeitsprofil bemerkbar machen. Dann kann man Sätze wie die folgenden vervollständigen: »Ich bin …«, »manchmal tue ich …«, »ich fühle mich …, wenn …« etc. Damit kann der Therapeut besser erkennen, wie derjenige sich selbst einschätzt. In der Regel zeigen sich dabei ein geringes Selbstwertgefühl bei körperlichen und sozialen Fähigkeiten und ein hohes Selbstwertgefühl bei intellektuellen Fähigkeiten.
Bittet man Menschen mit Asperger-Syndrom, sich selbst zu beschreiben, so definieren sie ihre Persönlichkeit meist durch das, was sie mögen oder sammeln, nicht durch ihr soziales Umfeld. 11 Als ich einmal Danny bat, mir seine Persönlichkeit und die der Leute zu beschreiben, die er kannte, antwortete er: »Ich kenne die Namen dieser Persönlichkeiten nicht.«
Die Persönlichkeit anderer Menschen einschätzen
Redet man mit Kindern über ihre Spezialinteressen, so ist man als Zuhörer oft fasziniert, über welches Wissen sie verfügen, aber auch von den Klassifikations- und Katalogisierungssystemen, die sie sich in diesen Bereichen schaffen. Das steht in starkem Gegensatz zu der mangelnden Fähigkeit, die Persönlichkeiten und Charaktere ihrer Mitmenschen einzuordnen. Gegenstände und Tatsachen können in einen logischen Rahmen gebracht werden, doch einen solchen Rahmen auch für andere Menschen zu schaffen, fällt ihnen schwer.
Es handelt sich offenbar um ein Problem der fehlenden Reife bei der Entwicklung von Charakterisierungen. Normale Kinder teilen andere Menschen zunächst in zwei Gruppen ein: nett und nicht nett. Später begreift das Kind, dass Menschen mehrere Merkmale zugleich besitzen können. Ein normales Kind beschreibt dann beispielsweise seinen Lehrer so: »Er ist meistens nett, manchmal kann er aber auch gemein sein.« Das Kind erkennt, welche der gleichaltrigen Kinder zu den »Guten« und welche zu den »Bösen« gehören, zu wem es den Kontakt suchen und um welche es eher einen Bogen machen sollte. Sie passen auch ihre eigene Persönlichkeit an, je nachdem, mit wem sie gerade zusammen sind. Sie entwickeln ein immer umfangreicheres Vokabular, um verschiedene Charaktereigenschaften zu beschreiben und ihre Vorstellung von der menschlichen Persönlichkeit weitet sich aus. Freundschaft beruht dann nicht mehr nur auf zufälliger Nähe, Besitz von Gegenständen oder körperlichen Fähigkeiten. Stattdessen schätzt das Kind persönliche Eigenschaften, etwa,dass jemand witzig ist, fürsorglich oder vertrauenswürdig. Es geht nicht mehr nur um sichtbare Merkmale, sondern richtet sich zunehmend danach, was ein anderer denkt und fühlt.
Tieranalogien vereinfachen die Charakterisierung
Auch Kinder mit Asperger-Syndrom müssen in dieser Phase lernen, das entsprechende Vokabular und Verständnis zur Charakterisierung anderer Persönlichkeiten zu entwickeln. Dadurch können sie andere, aber auch sich selbst schließlich besser verstehen. Ich bitte Kinder manchmal, an eine Person zu denken, die sie gut kennen, und sich zu überlegen, welchem Tier diese Person entsprechen könnte. Die Mutter könnte entweder ein fleißiger Biber sein; jemand, der das Kind ständig ärgert, ist dagegen eher ein Tiger oder ein Hai. Frage ich sie, welches Tier ich in ihren Augen darstelle, antworten sie oft: Ein Hund, der sich freut, sie zu sehen und der sie akzeptiert!
»Welches Tier bist du?«
Wenn man fragt, als was sie sich selbst sehen, reichen die Antworten von einer schüchternen Maus bis hin zu einer weisen Eule. Durch ein solches Spiel kann das Kind feststellen, welchen Charakteren – oder »gefährlichen Tieren« – es besser aus dem Weg gehen sollte. Es kann »falsche« Charaktere erkennen, sozusagen »den Wolf im Schafspelz«. Und es erkennt, welche Charaktere am besten zu seinem eigenen passen. Statt Tieren kann man zur Charakterisierung auch Autos, Gebäude, Räume oder Einrichtungsgegenstände nehmen, die für bestimmte Menschen stehen. Eine unangenehme Person kann man sich dann beispielsweise als eine stinkende Toilette vorstellen.
Humor ist ein
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