Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
akzeptieren, ohne Vergleiche mit anderen Kindern anzustellen, bei denen es schlecht wegkommt. Außerdem wird es dann nicht so leicht Symptome einer Angststörung, einer Depression oder einer Verhaltensstörung entwickeln. Man kann das Kind dann auch besser in eine Therapie einbinden und es begreift, warum es öfter zu einer bestimmten Fachkraft muss, andere Kinder oder Geschwister dagegen nicht. Das Kind ist auch oft erleichtert darüber, dass es nicht »verrückt« ist, sondern eben einfach nur anders »verdrahtet«.
In welchem Alter soll man die Diagnose erklären?
Kinder, die jünger als etwa acht Jahre sind, nehmen sich oft noch nicht als anders wahr und sie werden Schwierigkeiten damit haben, eine so komplexe Entwicklungsstörung wie das Asperger-Syndrom zu begreifen. Eine Erklärung muss in jedem Fall altersgerecht sein und Informationen bieten, die das Kind aus seiner Perspektive nachvollziehen kann. Vor allem sollten die Vorteile von Therapien aufgezeigt werden, die dabei helfen, dass das Kind Freundschaften schließen und besser mit anderen Kindern spielen kann und dabei, in der Schule erfolgreicher zu werden. Man kann ihm individuelle Unterschiede zwischen den Kindern erklären, etwa, dass manche leichter lesen lernen und andere weniger leicht. Dann erklärt man dem Kind, dass es noch eine andere Form des »Lesens« gibt, nämlich das »Lesen« von anderen Menschen und sozialen Situationen und dass es Therapien gibt, die bei dieser »Leseschwäche« helfen können. Meist sind es eher die Eltern, nicht die Fachkräfte, die dem Kind das Syndrom und seine Auswirkungen nahebringen.
Stärken und Schwächen auflisten
Für Kinder über acht Jahre habe ich ein Verfahren zur Zuordnung von Eigenschaften entwickelt, mit dem man dem Kind und der Familie die Diagnose erklären kann. Ich organisiere in diesen Fällen ein Treffen aller Familienmitglieder, einschließlich des gerade diagnostizierten Kindes. Ich hefte dann mehrere große Blätter Papier an die Wand oder verwende eine Tafel und farbige Stifte. Jedes Blatt wird in zwei Spalten aufgeteilt. Die eine trägt die Überschrift »Stärken«, die andere die Überschrift »Schwächen«.Ich bitte dann zuerst die Mutter oder den Vater, diese Tabelle entsprechend auszufüllen. Dabei können praktische Fähigkeiten, Wissen, Persönlichkeitsmerkmale und Hobbys angegeben werden. Danach können andere Familienmitglieder die Liste ergänzen. Ich stelle dabei sicher, dass der Tenor des Ganzen positiv bleibt und dass die Liste mehr Stärken als Schwächen enthält. Schließlich ist auch das Kind selbst an der Reihe, das die Einträge der anderen beobachtet hat und nun selbst die Liste entsprechend ergänzen kann.
Manchmal tut sich eine Person mit Asperger-Syndrom schwer, mehrere Stärken anzugeben und sie glaubt, dass sie keine habe. Hier können die anderen Familienmitglieder oder die Fachkraft Vorschläge machen. Bei der Angabe von Schwächen sollte man darauf achten, dass sich derjenige dadurch nicht als Opfer fühlt. Die folgende Tabelle gibt ein Beispiel für eine solche Gegenüberstellung.
Die Fachkraft wird jede vom Kind angegebene Stärke und Schwäche kommentieren und dem Kind dann erklären, dass Wissenschaftler bestimmten Persönlichkeitsmustern gerne einen bestimmten Namen geben. Dann wird er auf Hans Asperger verweisen, der vor über 60 Jahren in Wien Kinder untersucht hat, die ähnliche Merkmale aufwiesen. Da er der Erste war, der diese Merkmale beschrieben hat, nennt man diese Kombination an Merkmalen heute Asperger-Syndrom.
Ich sage dann zum Kind: »Herzlichen Glückwunsch, du hast das Asperger-Syndrom!« und erkläre, dass das nicht heißt, dass es verrückt oder minderwertig ist, sondern dass es eben einfach anders denkt als andere.
Stärken und Schwächen bei einem Kind mit Asperger-Syndrom
Stärken
Schwächen
ehrlich
entschlossen
ein Experte für Insekten und die Titanic
kann Geräusche hören, die andere nicht hören
freundlich
direkt
Einzelgänger (und als solcher glücklich)
Perfektionist
verlässlicher Freund
kann gut zeichnen
bemerkt Details, die anderen entgehen
kann sich erstaunlich gut an Dinge erinnern, die andere vergessen
hat einen einzigartigen Humor
hat ein sehr gutes Wissen in Mathematik
wird von Erwachsenen gemocht
Fehler akzeptieren
Freundschaften schließen
Rat annehmen
mit Wut umgehen
Handschrift
Wissen, was jemand anderes denkt
Vermeidung, gehänselt zu werden
so viel Zuneigung zeigen, wie es von anderen Familienmitgliedern erwartet
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