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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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Stärke gehalten hatte. Jetzt war ihr nichts davon geblieben. Offen gestanden, war sie froh, dass es an diesem Abend zu spät für Moms Geschichte war.
    Nina blieb an ihrer Kabinentür stehen. »Es war ein wunderschöner Tag, Mom. Herzlichen Glückwunsch noch einmal.« Sie trat unbeholfen auf sie zu und zog sie so kurz an sich, dass die Mutter nicht mal die Arme heben konnte, um die Umarmung zu erwidern.
    Meredith wollte es ihr nachtun, doch als sie in die blauen Augen ihrer Mutter sah, fühlte sie sich zu verletzlich und rührte sich nicht. »Ich … äh … du bist bestimmt müde«, sagte sie nervös. »Lass uns ins Bett gehen und morgen früh aufstehen. Morgen durchfahren wir die Glacier Bay. Es soll ein spektakulärer Anblick sein.«
    »Danke für meinen Geburtstag«, sagte die Mutter so leise, dass sie es kaum hörten. Dann öffnete sie die Tür zu ihrer Kabine und ging hinein.
    Meredith schloss die Tür zu ihrer Kabine auf und trat ein.
    »Ich darf als Erste ins Bad«, bemerkte Nina grinsend.
    Meredith achtete kaum auf sie. Sie nahm sich eine Decke von ihrem Bett und ging hinaus auf den kleinen Balkon. Sie konnte die Küste sehen, obwohl es dunkel war. Hier und da blinkten Lichter auf und zeigten an, dass dort Menschen wohnten.
    Sie lehnte sich gegen die Schiebetür und dachte über das nach, was sie jetzt nicht sah. Es war alles da – Schönheit, Geheimnisse. Sie konnte sie zwar nicht sehen, aber dennoch: Was man sah, war schlicht und einfach eine Frage des Zeit- und Standpunkts. Genau wie bei ihrer Mom. Vielleicht war alles die ganze Zeit zu sehen gewesen, nur Meredith hatte den falschen Standpunkt gehabt – oder nicht genug Licht.
    »Ich nehme an, das bist du, Meredith.«
    Meredith schrak zusammen, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte, die vom dunklen Balkon rechts von ihr zu ihr drang. Auch das war ein kleiner Realitätsschock: dass Hunderte winziger Balkone über das Schiff hinausragten, doch in der Dunkelheit nicht zu sehen waren und man sich deshalb selbst unsichtbar vorkam. »Hey, Mom«, erwiderte sie. Sie konnte nur vage die Gestalt ihrer Mutter ausmachen, nur ihr weißes Haar war deutlich zu sehen.
    Darin waren sie und ihre Mutter sich ähnlich: Wenn sie innerlich unruhig waren, wollten sie allein und im Freien sein.
    »Du denkst über deine Ehe nach«, bemerkte sie.
    Meredith seufzte. »Du hast wohl keinen Rat für mich?«
    »Es ist schrecklich, einen geliebten Menschen zu verlieren«, sagte ihre Mom sanft. »Aber unerträglich ist es, sich davon abzuwenden. Willst du den Rest deines Lebens damit verbringen, immer und immer wieder die Frage im Kopf durchzugehen und darüber zu grübeln, ob du zu früh gegangen bist, es dir zu leicht gemacht hast? Oder ob du je noch mal so sehr lieben kannst?«
    Meredith hörte, wie die Stimme ihrer Mutter immer sanfter wurde. Es war, als würde sie geschmolzenen Schmerz hören. »Du weißt, wie es ist, jemanden zu verlieren«, sagte sie leise.
    »Das wissen wir alle.«
    »Als ich mich in Jeff verliebte, war es, als würde ich zum ersten Mal wirklich die Sonne sehen. Ich konnte einfach nicht von ihm fernbleiben. Und dann … konnte ich es irgendwann doch. Wir haben so jung geheiratet …«
    »Das Alter hat nichts damit zu tun. Selbst wenn man noch sehr jung ist, kann man schon wissen, dass es Liebe ist.«
    »Ich war einfach nicht mehr glücklich. Dabei weiß ich nicht mal, warum oder seit wann.«
    »Ich erinnere mich, dass du früher immer gelächelt hast. Damals, als du den Andenkenladen eröffnet hast. Vielleicht hättest du nie die Plantage übernehmen sollen.«
    Meredith war so überrascht, dass sie nur nicken konnte. Sie hätte nie gedacht, dass ihrer Mutter so etwas aufgefallen war. »Es hat Dad sehr viel bedeutet.«
    »Das stimmt.«
    »Ich habe den Fehler gemacht, für andere Menschen zu leben. Für Dad mit seiner Plantage und für die Kinder. Vor allem für sie, und jetzt haben sie so viel mit ihrem eigenen Leben zu tun, dass sie kaum noch anrufen. Ich muss ihre Stundenpläne auswendig lernen und sie aufspüren wie Hercule Poirot. Ich bin ein Jäger mit einem Telefon.«
    »Jillian und Maddy sind flügge geworden, weil du ihnen Flügel verliehen und ihnen das Fliegen beigebracht hast.«
    »Ich hätte auch gerne Flügel«, sagte Meredith leise.
    »Das ist mein Fehler«, erwiderte die Mutter und stand auf. Bei dieser Bewegung knarrte etwas am Balkon.
    »Wieso?«, fragte Meredith und trat näher ans Geländer, das die beiden Balkone trennte. Sie spürte,

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