Ein Garten im Winter
eurem Daddy sehen gegangen. Vor etwa zwanzig Minuten.«
Nina blickte Jeff an. »Wie geht es ihr?«
»Das darfst du mich nicht fragen«, antwortete er.
»Wie meinst du das?«
Bevor Jeff antworten konnte, kam Maddy zu ihr und fragte: »Willst du ein paar Pancakes, Tante Nina?«
»Nein, danke, Schatz. Ich mach mich mal besser auf den Rückweg. Eure Mom wird mir den Kopf abreißen, weil ich keinen Kaffee gekocht habe.«
Maddys Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Ganz sicher. Wir kommen in einer halben Stunde nach.«
Nina gab beiden Mädchen einen Kuss, verabschiedete sich von Jeff und eilte die Straße hinunter.
In ihrem Elternhaus angekommen, hängte sie den geliehenen Mantel an die Garderobe und rief nach ihrer Schwester. Der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee lockte sie in die Küche.
Ihre Schwester stand mit gesenktem Kopf an der Spüle und sah zu, wie das Wasser lief.
»Willst du mir nicht die Leviten lesen, weil ich keinen Kaffee gemacht habe?«
»Nein.«
Etwas am Verhalten ihrer Schwester ließ Nina aufmerken. Sie warf einen Blick zur Treppe. »Ist er wach?«
Meredith drehte sich langsam um. Ein Blick in ihre Augen reichte und die Welt schien aufzuhören sich zu drehen.
»Er ist von uns gegangen«, sagte Meredith.
Nina hielt schockiert den Atem an. Schmerz, wie sie ihn noch nie gefühlt hatte, ballte sich in ihrer Brust, möglicherweise in ihrem Herzen. Eine abwegige Erinnerung blitzte ihr durch den Sinn. Sie war acht, neun Jahre alt, ein schwarzhaariger Wildfang, der seinem Dad durch die Obstplantage folgte und sich weit, weit weg wünschte. Dann war sie hingefallen – ihr Fuß hatte sich irgendwo verfangen und sie war in einem hohen Bogen zu Fall gekommen. Guter Flug, Neener Beaner , hatte er gesagt. Saubere Landung . Lachend hatte er sie aufgehoben, auf seine breiten Schultern gesetzt und sie getragen.
Jetzt verschwamm alles vor ihren Augen, und sie taumelte blind in die Arme ihrer Schwester. Als sie die Augen schloss, war er da, hier, in diesem Zimmer. Weißt du noch, wie er in Ocean Shores mit uns hat Drachen steigen lassen? Aber dies war eine alberne Erinnerung, genau wie die andere. Es gab viel bessere, aber diese hier brachte sie zum Weinen. Hatte sie ihm am Abend zuvor alles gesagt? Hatte sie ihm gesagt, wie sehr sie ihn liebte, und ihm erklärt, warum sie so oft fort war?
»Ich weiß nicht mehr, ob ich ihm gesagt habe, dass ich ihn liebe«, flüsterte Meredith.
Nina löste sich von ihr, blickte ihr ins schmerzverzerrte Gesicht und die tränenfeuchten Augen. »Du hast es ihm gesagt. Ich hab’s gehört. Er wusste es ohnehin. Er wusste es.«
Meredith nickte und wischte sich über die Augen. »Sie … kommen ihn gleich abholen.«
Nina sah, dass ihre Schwester die Fassung wiedergewann. »Und Mom?«
»Sie ist oben bei ihm. Ich konnte sie nicht dazu bringen, ihn allein zu lassen.«
Sie tauschten einen Blick, der alles sagte, und Nina bemerkte: »Ich gehe mal zu ihr. Und danach … was dann?«
»Wir fangen an zu planen. Und herumzutelefonieren.«
Allein der Gedanke, dass das Leben ihres Vaters sich in den Formalitäten des Todes auflöste, war Nina fast unerträglich. Aber sie hatte keine andere Wahl. Also versprach sie ihrer Schwester, gleich wieder da zu sein, und verließ die Küche. Jeder Schritt kostete sie Kraft, und als sie den ersten Stock erreicht hatte, weinte sie wieder. Lautlos, still und stetig rannen ihr die Tränen über die Wangen.
Sie klopfte an der Schlafzimmertür und horchte. Als ihr nur Stille antwortete, drehte sie den Türknauf und trat ein.
Erstaunlicherweise war nur ihr Vater im Raum, er lag im Bett, und durch die bis zu seinem Kinn gezogene Decke sah es aus, als bedeckte eine frische Schneeschicht seinen Körper.
Sie berührte sein Gesicht, strich ihm eine weiße Haarsträhne von den geschlossenen Augen und beugte sich dann vor, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben. Es schockierte sie, wie kalt seine Haut war, und unwillkürlich dachte sie: Er wird mich nie wieder anlächeln.
Sie holte tief Luft, richtete sich auf und starrte ihn eine ganze Weile an, um sich jedes winzige Merkmal einzuprägen. »Auf Wiedersehen, Daddy«, sagte sie leise. Natürlich gab es viel mehr, was sie hätte sagen können, und sie wusste auch, dass sie es später nachholen würde: nachts, wenn sie sich, weit weg von zu Hause, einsam und allein fühlen würde.
Sie wich vom Bett zurück (wozu sie sich zwingen musste, sie musste gehen, bevor sie zusammenbrach) und griff nach
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