Ein Garten im Winter
sich anders überlegen konnte, sprang Nina auf, rannte ins Wohnzimmer, holte eine Flasche Tequila aus der Bar, nahm im Vorbeigehen Salz, Limonen und ein Messer mit und setzte sich wieder.
»Willst du das nicht irgendwie mixen?«
»Sei mir nicht böse, Meredith, aber ich hab dich trinken sehen. Wenn ich es mit irgendwas mixe, wirst du den ganzen Abend nur dran nippen, und am Ende bin ich betrunken und du bist so selbstbeherrscht und unfehlbar wie immer.« Sie füllte zwei Gläser, schnitt die Limone in Scheiben und schob ihrer Schwester ein Glas zu.
Meredith rümpfte die Nase.
»Das ist kein Heroin, Mere, sondern nur ein Glas Tequila. Take a walk on the wild side. «
Auf einmal schien Meredith zu einem Entschluss zu kommen. Sie streckte die Hand aus, nahm das Glas und kippte es herunter.
Als sie die Augen aufriss, reichte Nina ihr die Limone. »Hier. Draufbeißen.«
Meredith keuchte und schüttelte den Kopf. »Noch einen.«
Nina leerte ihr Glas, schenkte ihnen beiden nach und dann tranken sie zusammen.
Danach lehnte sich Meredith in ihrem Stuhl zurück und fuhr sich durch ihr makellos glattes Haar. »Ich spüre gar nichts.«
»Wart’s ab. Hey, wie schaffst du es eigentlich, immer so … ordentlich auszusehen? Du hast den ganzen Tag Kisten gepackt, siehst aber immer noch so aus, als könntest du im Club essen gehen. Wie kommt das?«
»Das bringst auch nur du fertig, gepflegtes Äußeres zu loben und es klingen zu lassen wie eine Beleidigung.«
»Aber ich wollte dich gar nicht beleidigen. Ehrlich nicht. Ich habe mich nur gefragt, wie du immer so … ach, ich weiß nicht. Vergiss es.«
»Ich habe einen Schutzwall«, sagte Meredith, griff nach der Tequila-Flasche und schenkte sich nach.
»Genau. Wie ein Kraftfeld, das alles von deiner Frisur fernhält«, erwiderte Nina lachend. Sie lachte immer noch, als Meredith ihren dritten Tequila trank, doch als ihre Schwester ihn einfach hinunterkippte und den Blick abwandte, hörte sie auf. Sie wusste nicht, was sie verstummen ließ, vielleicht der Ausdruck in Merediths Augen oder ihre gesenkten Mundwinkel.
»Stimmt was nicht?«, fragte sie.
Meredith blinzelte langsam. »Du meinst abgesehen davon, dass mein Vater Weihnachten gestorben ist, meine Mutter verrückt wird, meine Schwester mir keine Hilfe ist und mein Mann weg ist … heute Abend?«
Nina wusste, dass es nicht komisch war, musste aber trotzdem lachen. »Ja, abgesehen davon. Außerdem weißt du doch ganz genau, dass du ein tolles Leben hast. Du bist eine dieser Frauen, die immer alles richtig machen. Deshalb hat Dad sich auch immer auf dich verlassen.«
»So sieht’s aus«, bestätigte Meredith.
»Es stimmt auch«, sagte Nina und seufzte, weil sie plötzlich wieder daran dachte, wie sie ihren Dad enttäuscht hatte. Sie fragte sich, wie lange die Trauer sie noch unerwartet überkommen würde. Würde sie sie je überwältigen?
»Man kann alles richtig machen«, sagte Meredith leise, »und am Ende trotzdem ganz falsch dastehen. Und allein.«
»Ich hätte Dad öfter aus Afrika anrufen sollen«, gestand Nina. »Ich wusste, wie viel ihm meine Anrufe bedeuteten. Aber ich dachte immer, dazu wäre noch Zeit …«
»Manchmal schlägt die Tür einfach zu, weißt du? Und dann ist man auf sich allein gestellt.«
»Aber wir können trotzdem etwas für ihn tun«, sagte Nina.
Meredith sah verwirrt auf. »Für wen?«
»Für Dad«, antwortete Nina ungeduldig. »Über den reden wir doch die ganze Zeit.«
»Ach. Wirklich?«
»Er wollte, dass wir Mom kennenlernen. Er sagte, sie –«
»Komm mir jetzt nicht schon wieder mit diesen Märchen«, stöhnte Meredith. »Jetzt weiß ich, warum du so erfolgreich bist. Du lässt einfach nicht locker.«
»Du etwa?«, lachte Nina. »Komm schon. Wir können sie dazu bringen , uns das Märchen zu erzählen. Du hast doch gehört, was sie heute Abend gesagt hat: Es habe keinen Sinn, mit mir zu streiten. Das heißt, sie wird ihren Widerstand bald aufgeben.«
Meredith stand auf. Sie war etwas wacklig auf den Beinen, daher stützte sie sich auf die Stuhllehne. »Ich hätte es wissen müssen, dass man mit dir nicht reden kann.«
Nina runzelte die Stirn. »Hast du mit mir geredet?«
»Wie oft soll ich dir noch sagen: Ich werde mir ihre Geschichten nicht mehr anhören. Der Schwarze Ritter und die Menschen, die zu Rauch werden, sind mir ganz egal, genau wie der schöne Prinz. Das war dein Versprechen gegenüber Dad. Meins war es, mich um sie zu kümmern, was ich jetzt tun werde.
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