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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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er für seine Kinder empfand, auch so zu benennen. Sein ältester Sohn war schon immer der kühlere, manchmal wirkte er sogar schroff. Das war sein Naturell. Wenn er eine mitfühlende Seite zeigte, freute das Friedrich besonders. Ernst würde nach ihm das Familienunternehmen weiterführen und nicht nur ein guter Kaufmann sein, sondern auch ein guter Herr über die, die für ihn arbeiteten. Das eine ging nicht ohne das andere, das mochte altmodisch sein, dennoch war er davon überzeugt.
    In diesem Speicher lagerten überwiegend Kakaobohnen, das verriet schon der im Treppenhaus stehende typische säuerliche Geruch. Die Bohnen waren gegen die Aromen möglicher Nachbarn in der Schiffsladung wie im Speicher empfindlich, in ihrer Nähe durfte nur transportiert und gelagert werden, was zu ihnen passte, wie Mandeln, Pistazien, Rosinen oder Nüsse.
    Quartiersmann Hegenau, als eine Art Zwischenhändler noch der eigentliche Herr der Waren dieses Speichers, stand auf dem oberen Treppenabsatz, auf dem kantigen Kopf die Schirmmütze, um den Bauch die traditionelle weiße Schürze, und blickte im schummerigen Licht den beiden Grootmanns entgegen. Die Luft auf den Lagerböden sollte gleichmäßig kühl und trocken sein, das Licht nur matt, ganz besonders für den Kakao. Alle Speicher waren mit großer Tiefe gebaut worden, die meisten mit etwa vierhundert Quadratmetern pro Boden, wie hier die Etagen genannt wurden, nur das Parterre hieß Raum.
    Fenster und Ladeluken an der Straßen- und an der Fleetseite, wo die Schuten unter den Winden zum Be- und Entladen festmachten, gaben gerade genug Licht für die anfallenden Arbeiten, neuerdings für die dunkle Jahreszeit, und falls bis in die Nacht gearbeitet werden musste, durch elektrisches Licht verstärkt. Die Kakaosäcke waren fast bis zur Decke gestapelt, am Rand wie eine Treppe, nur so waren die schweren Säcke ganz hochzuhieven. Die Breite des Taxameters, der dreirädrige, kurz Taxe genannte Karren zum Transport der Säcke, bestimmte die Breite der Gänge zwischen den aufgestapelten Reihen – Gänge wie düstere kleine Schluchten.
    Das Kakaobohnengeschäft ging nicht nur gut, es explodierte geradezu. Schokolade gehörte inzwischen für viele zur alltäglichen Leckerei, auch als Pulver für Getränke und feine Backwaren. Rasch ausgedehnte Anbauflächen in tropischen Regionen, schnellerer und preiswerterer Transport durch die Dampfschiffe und immer neue Eisenbahnlinien, dazu wohlschmeckendere Sorten und ausgeklügelte kunterbunte Werbung bis zu Schokoladenautomaten auf den Bahnhöfen oder belebten Plätzen taten ein Übriges. In den letzten fünfzehn Jahren hatten sich Import und Transit von Kakao über den Hamburger Hafen verdreifacht.
    «Dies ist die neue Sorte von der Goldküste», erklärte Ernst, legte die Hand auf einen der Säcke und beobachtete, wie Hegenau den Probenstecher ansetzte, ein vorne gespitztes, nach oben abgeschrägtes Metallrohr, das etwa doppelt so dick wie ein Daumen war. Er drehte und schob es bedächtig durch das lockere Gewebe des Jutesacks, dehnte dabei die starken Fäden, ohne sie zu beschädigen, und zog den Stecher mit einer Probe von dunkelbraunen Bohnen wieder heraus; er leerte sie in seine hohle Hand und schob die Lücke im Sack mit der Probenstecherspitze wieder zu.
    Obwohl Ernst der Kakaoexperte war, erkannte auch Friedrich Grootmann schon, dass die Bohnen von guter Größe waren, etwa wie sein Daumennagel, somit ziemlich sicher auch von guter Qualität. Die Faustregel hieß: je kleiner die Bohnen, je billiger, also von geringerer Qualität.
    «Es geht erst los mit dem Kakao in Afrika», erklärte Ernst, obwohl das jeder hier wusste, «aber das wird sich schnell ausdehnen. Bleibt zu hoffen, dass die englischen Kolonialherren den Anbau weiter so stark fördern und uns nicht-britischen Händlern gute Verträge bieten.»
    «Deine Auslandsstation an der Goldküste hat sich gelohnt», sagte Friedrich Grootmann und beobachtete, wie Hegenau ein scharfes Messer aufklappte und die erste Bohne durchschnitt. Als sei sie aus Butter. Beinah traf es zu, bei den guten Qualitäten bestanden die Bohnen zur Hälfte aus Fett. «Ich gestehe», fuhr er fort, «dass meine Bedenken kleinkrämerisch waren. Ich muss mich anstrengen, wenn ich mit dem Tempo dieser Zeit Schritt halten will.»
    Es hatte Ernst Grootmann viel Mühe gekostet und der Unterstützung zweier mit der Familie befreundeter Kaufleute bedurft, um seinen Vater davon zu überzeugen, ihn nach der

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