Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Ausbildungszeit in Lateinamerika auch noch für ein Vierteljahr an die afrikanische Westküste reisen zu lassen. Es waren sieben Monate daraus geworden, Ernsts afrikanisches Abenteuer, wie es in der Familie inzwischen mit Wohlwollen oder Stolz genannt wurde. Aber seine persönlichen Kontakte zu den Pflanzern – die ersten dort waren kurioserweise Schweizer Missionare gewesen –, zu den Handelsstationen an der Küste und im Hinterland und vor allem zu den entscheidenden Männern in der Kolonialverwaltung, hatten Grootmann & Sohn einen lukrativen Vorsprung vor anderen Handelsfirmen verschafft. Friedrich hoffte für seine Firma und für seinen Sohn, das möge nicht wieder nur so eine Blase sein, wie bei manchen Novitäten, die in absehbarer Zeit mit einem großen Knall platzte.
«Was halten Sie davon, Hegenau?», fragte er den Quartiersmann. «Gute Ware?»
«Sieht ganz gut aus», knurrte Hegenau und schob die Mütze in den Nacken, um mehr Licht zu haben. Er knurrte meistens, das hatte nichts zu sagen, unangenehme Nachrichten brummte er. «Schon mal keine Würmer drin, auch kein Schimmel. Mal sehn, wie’s weitergeht. Sind ja noch ’ne Menge Säcke.»
Hegenau hatte die jahrelange Erfahrung, die für seine Arbeit nötig war, er konnte Kakaobohnen beurteilen wie kaum ein Zweiter in der Stadt – Form und Größe, Geruch, Bröckeligkeit, Farbe, Geschmack. Den neuen Sorten aus Westafrika misstraute er noch.
Kakaobohnen zählten zu den empfindlichen Kolonialwaren, egal, von welchem Kontinent sie stammten. Auf der langen Schiffsreise aus Mittel- und Südamerika, von den Westindischen Inseln und nun auch aus Afrika, bildete sich leicht Schimmel in den Säcken. Kondenswasser, undichte Luken, unsachgemäße Lüftung konnten schuld sein. Fatal war es, wenn sich auch in den aufgeschnittenen Bohnen Schimmel fand. Der hatte sich nach dilettantischer oder einfach zu kurzer Trocknung vor dem Einsacken in den Tropen gebildet, beeinträchtigte Substanz und Geschmack und verdarb so die Ware. Auch Kakaomotten waren gefürchtet.
Jeder Sack war schon beim Hochhieven und Stapeln auf Flecken, feuchte Stellen oder Löcher geprüft worden. Nun mussten von jeder Partie Stichproben genommen werden, je ein Säckchen voll. Das wurde genau beschriftet und für einige Wochen in einem Extraraum gelagert, damit bei Reklamationen bewiesen werden konnte, in welchem Zustand und in welcher Qualität die Bohnen den Speicher verlassen hatten.
«Hallo? Ist jemand hier?» Das war Felix Grootmanns Stimme, er war offenbar nicht allein, denn leiser fuhr er fort: «Als Junge habe ich mich nirgends lieber aufgehalten als in den alten Speichern, schon wegen der Gerüche, wobei mir allerdings Gewürze und Teppiche erheblich lieber waren als dieses säuerliche Aroma. Für meine Nase ist es muffig. Nicht gerade ein Odeur.»
«Nun, lieber Bruder», antwortete Ernst Grootmann vernehmlich, schon bevor Felix in der richtigen Schneise angekommen war, «daran sieht man, wie die Juristerei die Nase verdirbt. Für uns riecht hier alles besser als Rosenöl, was sich als solide Ware erweist und guten Umsatz verspricht. Wobei ich nichts gegen Rosenöl sagen will, das vereint beides auf angenehmste Weise, Duft und Gewinn, besonders das bulgarische. Da sind Sie ja auch, Blessing, sehr gut. Kommen Sie hier zu uns direkt an die Säcke, ich möchte, dass Sie sich das genau ansehen.»
Wie Raimund Blessing hinter Felix Grootmann stand, wirkte er nicht wie der Prokurist eines großen Handelshauses, das in Verbindung mit der halben Welt stand. Der Sommer ging zu Ende, und obwohl er bis auf diese schönen Spätsommertage als verregnet galt, sah Felix aus, als habe er alle Tage in seinem Sommerhaus bei Munkmarsch auf Sylt verbracht. Umso farbloser wirkte Blessing, was aber nur zum kleineren Teil an seiner hellen Haut und dem sandfarbenen Haar lag, zum größeren an den tatsächlich oft endlosen Stunden, die er im Kontor, in den Speichern oder Besprechungszimmern mit anderen Kaufleuten, Fuhrunternehmern oder beim Zoll verbrachte. Seine Eigenart, in bestimmten Situationen nahezu unsichtbar zu scheinen, wurde in Gegenwart der drei Grootmanns und des erfahrenen und selbstbewussten Quartiersmannes besonders deutlich. Nur seine Augen blickten wachsam wie meistens.
«Bei mir ist da sowieso Hopfen und Malz verloren», sagte Felix und trat so weit wie möglich zur Seite, damit Blessing sich vorbeischieben konnte. «Ich bleibe lieber bei meinen Paragraphen. Aber ich bin nicht aus
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