Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Wie früher. Ich bin Jurist, hast du das vergessen?»
«Wie könnte ich? Nun gut», sagte Friedrich Grootmann mit einem tiefen Seufzer, «du wolltest etwas besprechen. Geht es um Hetty?»
«Ja, um unsere Hetty. Wenn ich unsere sage, meine ich es auch so. Was ich neulich im Austernkeller schon befürchtete, ist jetzt halbwegs amtlich. Ich habe endlich auch Kontakt zu dem englischen Kollegen bekommen, der so etwas wie Winfields Rechts- und Vermögensberater war. Allerdings sicher nicht sein Freund. Hettys edler Gatte war völlig pleite. Cranfield, so heißt der Mann in Bristol, hat immerhin versichert, dass sich die Schulden im Rahmen halten, Thomas hatte wohl erst angefangen, welche zu machen. Verdammt, wie konnte Sophus nur so blind sein. Er hat sich wie meine kleine Cousine von diesem Gentry-Charme einwickeln lassen. Hetty war ein verliebtes junges Ding, weltfremd und keine zwanzig Jahre alt, aber Onkel Sophus hätte einen besseren Blick haben und vor allem gründlichere Erkundigungen einziehen müssen. Und die Siddons ebenfalls. Ist Mr. Siddons nicht Diplomat? Er hätte auch – ach, es ist ohnedies zu spät. Wir müssen bald entscheiden, wie wir Hetty unterstützen werden. Sie muss dieses Haus verkaufen, daran führt nun kein Weg vorbei. Und zwar rasch und am besten mit allem Inventar. Da sind auch diese Bilder, ein ganzes Zimmer voll. Vielleicht sind doch ein paar verborgene Schätze darunter. Ich will mich gerne darum kümmern.»
«Du meine Güte! Ich habe so etwas befürchtet, aber dass es so schlimm steht … Nun gut, es ist in jedem Fall an uns, ihr aus der Patsche zu helfen. Im Prinzip bin ich deiner Meinung. Aber wir sollten das Problem mit Rücksicht auf deine Mutter noch sehr zurückhaltend behandeln. Es wird uns nicht ruinieren, wenn wir Lydias einzige Nichte eine Zeitlang unterstützen.» Er beugte sich ein wenig vor und sah seinen Sohn prüfend an. «Tatsächlich überraschst du mich, Felix. Ich dachte, du magst Hetty, ja, ich weiß, du kennst sie nur wenig, aber lass ihr doch Zeit, erst einmal wieder zu Verstand zu kommen. Das arme Mädchen hat wirklich Schweres zu verkraften. Warum drängt ihr nur so auf den raschen Verkauf von Sophus’ Haus und Garten? Erst Ernst und jetzt auch du. Ist das ein Ergebnis eurer Männerabende?»
«Aber nein. Aus keinem besonderen Grund oder Anlass.» Felix zuckte gleichmütig die Achseln. «Einzig weil es vernünftig ist. Dann hat sie eigene Mittel und kann frei entscheiden, was sie tun möchte. Ist das denn nicht vernünftig? Auch und gerade in Hettys Sinn?»
«Einerseits. Andererseits ist es mit der Vernunft so eine Sache. Es kommt immer auf den jeweiligen Standpunkt an. Und diese Eile wirkt – so rau. Lass uns das Thema für einige Tage beiseitelegen und dann weitersehen. Vor allem müssen wir zuerst mit Hetty darüber sprechen. Aber nun sag mal – wenn du uns nach langer Zeit wieder in den Speichern die Ehre gibst, hast du noch einen Grund, warum du so dringlich mit uns sprechen wolltest. Es scheint mir so. Geht es um das Unglück beim Kaiserhöft? Ist jemand unter den Toten, den wir kennen?»
«Darum geht es nicht, aber tatsächlich ist da noch etwas. Du erinnerst dich an diesen alten Säufer, der Winfields Uhr gefunden hatte? Angeblich gefunden hatte.»
«Natürlich erinnere ich mich, auch daran, dass er keinesfalls für Winfields Tod verantwortlich sein kann.»
«Er könnte trotzdem damit zu tun gehabt haben. Womöglich war die Uhr sein Lohn für – was weiß ich. Falls du es noch nicht gehört hast, wir können ihn nicht mehr danach fragen, auch nicht mit entschiedener, notfalls grober Nachhilfe.»
«Nein? Ist er etwa auch …»
«Ja. Der Kerl ist tot. Rate, wie? Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten. Auf offener Straße, in einer Twiete nicht weit vom Meßbergplatz. So ein Zufall! Ich denke, wir sollten noch mal mit diesem Polizisten sprechen, ich wüsste sehr gerne Genaueres. Zum Beispiel, ob man absehen kann, wer der Nächste sein wird. Wer und wann. Und was er dagegen zu unternehmen gedenkt.»
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Kapitel 10
Donnerstag, abends
D ie Stadt fraß sich rapide weiter ins Land, ihre Einwohnerzahl hatte sich in den letzten vierzig Jahren auf weit über eine halbe Million vervierfacht. Besonders an ihrem östlichen Rand siedelten sich zunehmend Kleingewerbe und Industrien an. Es gab schnurgerade, dichtbebaute Straßenzüge, Kanäle boten schnelle, billige Transportwege zu Hafen, Bahnhöfen und ins Hinterland. Zwischen
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