Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Wilhelmine Grootmann war eine Frau von beinahe achtzig Jahren, ihr Rücken war nur sehr leicht gebeugt, wenn sie sich auf den polierten Ebenholzstock mit dem massiven Silberknauf stützte, ihr raffiniert frisiertes, immer noch dichtes Haar war schneeweiß, ihr Gesicht trotz der Falten und Fältchen höchst lebendig. Anders als ihre Gesellschaftsdame und die meisten betagten Witwen war sie nicht in die Welt verachtendes Schwarz gekleidet. Sie trug ein modisch geschnittenes, mit Jettperlen besticktes, tiefviolettes Kostüm, die Seidenbluse mit der Halsrüsche in blassem Rosé. Ihr Schmuck war für den hellen Nachmittag üppig, aber geschmackvoll und elegant.
«Henrietta, mein liebes Kind, ich bin untröstlich», erklärte sie zur Begrüßung und reichte der Nichte ihrer Schwiegertochter die Hand zum Kuss. «Du wirst entschuldigen, wenn ich in diesen traurigen Tagen keine schwarzen Kleider trage, ich besitze keine und werde mir auch nie welche machen lassen. Ich verabscheue Schwarz, nicht weil es alt macht, ich bin alt, sondern weil es müde macht, und das bin ich nicht. Außerdem zeugt es in den allermeisten Fällen nur von Heuchelei.»
Ein zartes Geräusch in ihrem Rücken klang nach einem erschreckten Schluckauf und ließ sie generös lächeln. «Natürlich nicht bei meiner lieben Huchelbeck, sie ist absolut unfähig zur Heuchelei, was bei Licht besehen von Nachteil ist. Sie trägt schon ewig Schwarz, das liebe dumme Ding.»
Felix räusperte sich, aber Frau Huchelbeck nickte unerschüttert. Sie war seit Jahrzehnten an Wilhelmine gewöhnt und verehrte sie bedingungslos. Außerdem hatte sie keine Wahl.
«Felix, diese Räusperei ist albern. Huchelbeckchen lebt äußerst zufrieden bei mir. Du bist mein geliebter Enkel, Felix – doch, das kann ich so aussprechen. Das ist einer der verdammt wenigen Vorzüge des Alters: Man kann sagen, was man will. Gleichwohl wäre ich dir verbunden, wenn du dich nun entferntest. Du kennst den Weg. Ich habe mit Henrietta zu reden, Frauenangelegenheiten, die gehen dich nichts an. Falls der Rest der Familie dich als Spion geschickt hat, sage ihnen, sie sollen mich selbst fragen. Ich bin kein Krokodil und beiße nicht.»
Später fragte sich Hetty, wie es Felix gelungen war, sich diesem Befehl zu verweigern, sie hätte gerne davon gelernt. Nur daran, dass er seine Großmutter auf charmanteste Weise Grand-mère nannte, was ihr sehr gefiel, konnte es kaum liegen. Endlich bestand er darauf, als Vertrauter seiner kleinen Cousine zu bleiben, setzte sich neben die erschreckte Huchelbeck aufs Kanapee, schlug ein Bein über das andere, legte das Kinn in die aufgestützte Hand und erklärte sanft lächelnd: «Schau, liebste Grand-mère, deine Madame Huchelbeck und ich sind gar nicht hier.»
Und die liebste Grand-mère sagte ergeben seufzend: «Nun, mein Kind», sie meinte schon Hetty, «gib immer acht auf solche jungen Herren, man darf ihnen nicht zu nahe kommen, sie sind einfach zu bezaubernd. Damit sind wir schon beim Thema. Setz dich an den Tisch, es gibt Kaffee, Tee ist mir zu langweilig.»
Dem Salon war nicht anzumerken, dass er viele lange Monate unbewohnt gewesen war. Auf der Anrichte lagen sogar Zeitungen der letzten Tage, auf den Fensterbänken blühten rote Begonien in weißen Porzellantöpfen mit vergoldeten Griffen, genauso makellos wie die Fächerpalme neben dem Klavier. Keine der üblichen dicken Vorhänge aus Samt oder Damast verdunkelten den Raum, die Gardinen waren leicht und hell, ebenso das biedermeierliche Mobiliar. Zwei der Bilder an den wie frisch tapeziert aussehenden Wänden – Hetty hatte dieser Tage überall zuerst einen Blick für die Bilder – zeigten romantische Ansichten der Elbe, eine in Abend-, eine in Morgenstimmung, und im Schatten des weißen Kachelofens hingen die Porträts eines streng und ältlich wirkenden Paares in ovalen Rahmen, allerdings nicht in klassisch schwarzem Lack, sondern vergoldet.
Wilhelmine schenkte nur für sich und ihren Gast Kaffee ein, schob Hetty das Sahnekännchen und die Gebäckschale zu und verschränkte die Hände mit dem von einem Kranz winziger Brillanten umrahmten Rubin auf dem linken Mittelfinger vor sich auf der Tischkante.
«Ich habe deinen Vater sehr gemocht, Henrietta», begann sie, «sein Tod macht mich traurig. Wirklich sehr traurig. Würdest du mich besser kennen, wüsstest du das umso mehr zu schätzen, denn ich vermeide es, traurig zu sein. Mein Lebensvorrat an Traurigkeit und Missmut war vor fünfzehn Jahren fast
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