Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
und setzte sich ganz aufrecht.
«Ich danke Ihnen, Frau Grootmann», sagte sie würdevoll. «Ich nehme an, bisher hatte niemand Gelegenheit, Ihnen von wirklich allem zu berichten, was in den letzten Wochen geschehen ist. Es ist sehr freundlich, mich zu warnen, aber Thomas, mein Ehemann, kann mein Erbe nicht stehlen. Es gibt nämlich keines. Und er ist tot.»
* * *
Als Henrietta von Brooks nach Hause gefahren wurde, war sie auf diese besondere Weise erschöpft, die alles scheinbar vibrieren lässt, Körper, Seele, Geist, sogar die Luft. Sie hatte Felix’ eindringlichen Bitten zu bleiben oder sich wenigstens von ihm begleiten zu lassen, widerstanden. Sie war froh gewesen, als er der Aufforderung seiner Großmutter, sich gefälligst zu verabschieden, mit seinen charmanten Volten ausgewichen und geblieben war. Nun hatte sie noch mehr Fragen an ihn. In seinem Gesicht hatte sie keine Überraschung über die Neuigkeiten gesehen, die Wilhelmine Grootmann mitgebracht hatte.
«Hast du davon gewusst?», hatte sie ihn gefragt, als er ihr in die Kutsche half.
Er antwortete erst, nachdem er ihr das Plaid über die Knie gelegt und an den Seiten festgesteckt hatte. «Du meinst diese Nachrichten aus Nizza? Nein, davon habe ich nicht gewusst, dann hätte ich dich da nicht reingelassen, die alte Wilhelmine ist wie ein überladenes Dampfschiff. Aber es hat mich nicht überrascht. Ich will dir nichts vormachen, Hetty. Als ich Anfang der Woche sagte, es sei wegen Thomas’ Nachlass noch einiges zu prüfen, ging es genau darum. Herauszufinden, warum sein Besitz verloren ist. Und», sein Seufzer klang nach einem Stöhnen, «ob er überhaupt noch Nennenswertes besaß, bevor er auch deine Mitgift für euren Lebensunterhalt verbrauchte.»
«Und?»
«Und? Ja – und! Man sollte dir nichts mehr vormachen. Und ob er auf unredlichen Wegen versucht hat, sich zu retten. Es würde zu seinem Ende passen. Ich kann bei seinem Tod einfach nicht an einen Zufall glauben. Aber das müssen wir der Polizei überlassen. Du willst wirklich nicht bleiben? Das schönste der Gästezimmer ist immer für dich bereit, das weißt du, nicht wahr? Alle wären froh, dich hier zu haben.»
Sie konnte nicht bleiben, sosehr sie das Alleinsein im Laufrad der Gedanken fürchtete. Sie wollte keine mitleidigen Gesichter sehen, keine behutsam gesetzten Worte hören, kein ‹Die Zeit heilt alle Wunden›. Sie wollte nur zurück zum Haus über der Elbe, vom Gartenpavillon über den Fluss schauen und wissen, dass dort, ganz weit im Irgendwo, das Meer war und hinter dem Meer ein Ozean und ein unbekanntes Land, wie die Verheißung eines neuen Lebens.
Das gleichmäßige Klappern der Hufe, das Schaukeln der gutgefederten Kutsche und Brooks’ vertrauter breiter Rücken dämpften den Aufruhr in ihrer Seele. Wilhelmine Grootmann hatte ihr berichtet, was sie vielleicht geahnt, aber sich nicht zu denken erlaubt hatte. Dennoch hatte es sie getroffen wie ein Faustschlag. Nun war es Realität. An dem Tag, an dem sie ihr gesagt hatten, es existiere weder ein Erbe von ihrem Vater noch von Thomas, hatte sie nicht nach den Umständen gefragt. Es hatte sie nicht wirklich erreicht, es war nur Geld, während sie versuchte, sich ihr Leben ohne ihren Vater und ohne Thomas vorzustellen. Geld und Besitz gingen leicht verloren, man hörte so oft davon, und hier war es zugleich beiden ihr so eng verbundenen Männern passiert. Passiert. Wenn sie weiterdachte, was die alte Wilhelmine aus Nizza mitgebracht hatte, war es womöglich nicht einfach nur passiert.
Bei Henriettas Rückkehr saß der alte Birkheim bei Alma Lindner in der Küche. Sein Besuch hatte sie in der Arbeit unterbrochen. Auf dem Tisch neben dem Herd lagen das große Küchenmesser und der Wetzstein neben einem schon in zwei Hälften geteilten Weißkohlkopf.
«Ich wollte gerade gehen.» Er erhob sich mit steifen Knien von der Bank am Fenster und gab ihr die Hand. «Meine Frau hat mich sicher schon verloren gegeben, aber es plaudert sich so nett mit Frau Lindner. Und ich habe etwas für dich mitgebracht.» Er schob Hetty einen langen Gebrauch verratenden Holzkasten über den Küchentisch zu. «Mein lieber Freund Mommsen hat mir vor ein paar Wochen die lütte Kiste anvertraut. Es ist ja lange her, seit ich sie geschnitzt habe, aber du erinnerst dich vielleicht noch.»
«Die Menagerie.» Hetty sank überrascht auf einen Küchenstuhl. «Natürlich erinnere ich mich. Ich habe schon danach gesucht. Als ich sie in meinem Zimmer nicht fand,
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