Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
gutgegangen.
Sie hörte Schritte auf der Treppe, warf rasch einen Blick in den Spiegel, steckte die Feder im Haar ein wenig kecker und nahm das Seidencape aus dem Schrank. Sie erkannte seine Schritte immer unter den vielen anderen, die durch das Treppenhaus und die Flure rannten, schlurften, stolperten, humpelten oder einfach gingen. Seine klangen anders. Nie von einer Last beschwert. Immer gleichmäßig, leicht und selbstbewusst.
Sie verbrachten die Abende oder die Nächte niemals hier, obwohl er sich das hin und wieder wünschte. Dann lachte sie und sagte, noch gelte sie in diesem Haus und in dieser Straße als halbwegs ehrbare Frau, solange eine Fremde, die allein lebe und ihre Tage in einer Damenmalschule verschwende, von schwer arbeitenden Menschen überhaupt als ehrbar angesehen wurde. Ihr liege daran, dass das so bliebe.
Er klopfte, sie öffnete, und er trat ein, den Hut leicht unter dem Arm. Alles war wie immer. Er beugte sich über ihre Hand, dann küsste er sie auf beide Wangen, im Blick das vertraute Kompliment für ihre Schönheit.
«Bist du bereit?», fragte er, und sie nickte mit einem Lächeln. Alles wie immer. Sie würden diesen Abend allein verbringen, gut speisen und guten Wein trinken, sie würde das luxuriöse Bad genießen, die große Wanne, das heiße, nach Rosenöl duftende Wasser, die weichen Handtücher. Und er würde warten, bis sie zu ihm kam, in dieses wunderbare große Bett. Sie würde glücklich sein. Nicht wie immer, aber wie meistens.
Heute wollte sie sehr glücklich sein, manchmal musste man es nur ganz stark wollen, dann reichte allein der Wille zum Glück. Davon war sie überzeugt. In den letzten Monaten musste sie sich häufiger für dieses «stark Wollen» anstrengen. Daran mochte sie jetzt nicht denken. Alles hatte seine Zeit, und manches änderte sich, zuerst schleichend, dann deutlicher und unausweichlich. So weit war es noch nicht. Noch lange nicht, hoffte sie.
«Ich muss mir jedes Mal aufs Neue Mühe geben, dich zu verstehen», sagte er, trat ans Fenster und blickte hinunter auf den Kanal. Dort hatten ein paar Schuten festgemacht, zwei Jungen angelten in der beginnenden Dämmerung im trüben Wasser, ein Grüppchen Männer in ausgebeulten Kleidern stand rauchend und schwatzend neben einer mit zwei Kartoffelsäcken beladenen Hundekarre. «Im Sommer ist die Aussicht natürlich ganz hübsch.»
«Spotte nur», unterbrach sie ihn heiter. «Mich erinnert sie an einige Bilder von französischen und russischen Malern, mir fehlen allerdings die Pappeln und die schmalen Zugbrücken. Für die Brücken will ich über die Elbe und ins Alte Land fahren, dort soll es welche geben. Bevor es Winter wird, werde ich die Fähre nehmen, an irgendeinem Sonntag, wenn du ohnedies keine Zeit hast.»
«Darüber ließe sich reden. Trotzdem – warum darf ich dir nicht ein wenig helfen. Du musst nicht hier wohnen, und du kannst bessere Bedienung haben, ohne dass es dich beleidigt. Du bist für dieses Leben nicht erzogen, und ich möchte wirklich nur …»
Sie unterbrach ihn mit einem Kuss mitten auf den Mund. «Ich bin dafür nicht erzogen, aber ich habe es mir selbst eingebrockt. Es reicht, wenn ich deine Geschenke annehme, und das tue ich doch stets mit Freuden und ohne Bescheidenheit. So muss es dir reichen, Liebster, mir reicht es auch. Oder fändest du es aufregend, dich mit einer ausgehaltenen Frau zu schmücken? Gebt ihr Männer damit an, wenn ihr im Rauchzimmer ohne die Damen vermeintlich über Geschäfte und die große Welt redet?»
Er lachte. «Jetzt sage ich : Spotte nur. Wahrscheinlich habe ich es verdient. Versprich mir wenigstens: Wenn du eines Tages endlich klug wirst – wenn es Winter wird, zum Beispiel, und die Eiszapfen nicht an der Dachtraufe, sondern an der Innenseite dieser Fenster wachsen –, dann sei nicht zu stolz.»
Sie blickte ihn an, nahm sein Gesicht in beide Hände und berührte seine Lippen mit den ihren, ganz leicht nur, er mochte es als Versprechen nehmen. «Ach, Monsieur, was soll ich nur von so viel Hartnäckigkeit halten? Ihr Männer von der Uhlenhorst habt eine Neigung zum Trotz. Oder ist es nur Besserwisserei?»
Sonnabend
Hettys Skrupel, die Tagebücher ihres Vaters zu lesen, waren schnell vergangen, und sie hatte entschieden, er hätte nichts dagegen gehabt. Auf einige ihrer vielen Fragen hoffte sie, Antworten zu finden. Diese Fragen, die sie ihm immer hatte stellen wollen. Zum Beispiel, wenn sie an einem milden Abend unter der Markise auf der
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