Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
unerschütterlich Ernst-Heinrich genannt) hing in der großen Eingangshalle der Grootmann’schen Villa und zeigte einen wohlgerundeten Herrn im besten Mannesalter, dem man seine Lebenslust ansah. Der Porträtist hatte für ein sehr schönes Honorar sehr schön gemalt. Henry war vor fünfzehn Jahren gestorben, die Leitung seines Handelshauses hatte er seinem Sohn jedoch noch ein Jahrzehnt früher überlassen, inoffiziell zunächst, aber das kümmerte bald keinen mehr.
Diese Abwendung von Kommerz und Handel bedeutete für ihn Sommer in Baden-Baden oder Biarritz, Winter in Paris, auf Madeira oder in Monte Carlo. Dabei war er genug Kaufmann und Hanseat geblieben, um am Spieltisch oder beim Galopprennen in Iffezheim stets sein selbstgesetztes Limit zu wahren.
Friedrich als Sohn und Erbe war von Anfang an pflichtbewusst, ehrgeizig und tüchtig gewesen. Er hatte sich viel besser auf die Rolle des ehrbaren hanseatischen Kaufmanns in einer sich rasant ändernden Welt verstanden und die Flucht des alten Patriarchen ins lockere Leben für sich selbst als Glücksfall empfunden.
Einzig Wilhelmine Grootmann hatte ihrem Ehemann nie verziehen. Nach seinem Tod hatte sie kein halbes Jahr verstreichen lassen, bis sie die Trauerkleidung ablegte und ihre Schrankkoffer packen ließ. Nach kurzen Zwischenstationen in Wien (zu kalt, zu viel Adel) und in Venedig (auf die Dauer zu nass) hatte sie sich in Nizza niedergelassen, hochzufrieden wegen des Klimas, des wahrhaftig blauen Meeres, der prächtigen Architektur und weil man hier mehr wohlhabende Engländer als Franzosen oder gar Italiener traf.
Hetty kannte diese alten Geschichten nicht im Detail, aber genug davon, um der Begegnung nervös entgegenzusehen. Sie hatte keine Ahnung, was die alte Dame ausgerechnet von ihr wollte, kaum dass sie wieder in Hamburg angekommen war. Umgehend ihr Beileid bekunden? Ein anderer Grund fiel Hetty nicht ein.
Brooks lenkte die Kutsche zur breiten Treppe an der Rückseite des Hauses, die vom Sommersalon zum gekiesten Platz vor dem Garten hinunterführte, und reichte Hetty die Hand zum Ausstieg.
«Die alte gnädige Frau wohnt im Zwischenflügel», sagte er, als niemand auftauchte, um die Besucherin in Empfang zu nehmen. «Nur damit Sie gleich den richtigen Eingang nehmen.»
Hetty sah sich stirnrunzelnd um und entdeckte zwischen Haupthaus und neuem Seitenflügel ein Portal, das sie bisher übersehen hatte. Gemessen an der Größe des Hauses wirkte es bescheiden, aber es war immer noch ein Portal, keine einfache Tür.
Kies knirschte unter eiligen Schritten, Felix kam vom Seitenflügel herüber. Seine Arbeit in der Kanzlei schien ihn nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen, wenn er um diese Zeit Besuch bei Mary und ihren Kindern machte.
Er küsste sie auf die Wangen und reichte ihr seinen Arm. «Ich bin froh, dass ich die Kutsche gesehen habe», sagte er nah an ihrem Ohr, «ich werde dich begleiten. Als Schutzwall. Mama und Claire lassen grüßen, sie haben leider andere Verpflichtungen, sonst wären sie gemeinsam an deiner Seite. Danke, Brooks», wandte er sich an den Kutscher. «Frau Winfield braucht Sie in ein oder zwei Stunden für die Rückfahrt, falls sie dann nicht lieber hierbleibt.»
«Ich bin ein bisschen verwirrt», gestand Hetty. «Es ist so lange her, ich erinnere mich kaum an sie. Weißt du, warum sie mich so schnell herbeordert hat? Brooks sagt, sie sei erst gestern Abend angekommen, nach der langen Reise muss sie doch sehr erschöpft sein.»
«Stimmt, das müsste sie. Im Alter ist so eine Reise eine enorme Anstrengung. Trotzdem ist sie putzmunter und bringt den ganzen Haushalt durcheinander. Aber sie war eine Reihe von Jahren stets nur für eine Stippvisite hier und wird auch dieses Mal nicht lange bleiben. Und da ist schon ihr müder Zerberus, Frau Huchelbeck.»
Das mittlere Portal hatte sich geöffnet, und eine in tiefstes Schwarz gekleidete Dame stand davor, Großmutter Wilhelmines Freundin und Gesellschafterin. Ihr graues Haar war von einem schwarzen Spitzentüchlein bedeckt, ihr Gesicht erinnerte an einen schrumpeligen Apfel, samt der roten Bäckchen, und zeigte tiefe Kümmernis.
Die war auch Wilhelmine Grootmann anzusehen, als sie der lieben Henrietta ihr Beileid bekundete, vielleicht nicht so sehr, aber es schien echt zu sein. Hetty wäre jederzeit bereit gewesen, zu schwören, diese Dame nie zuvor gesehen zu haben. Mit der freudlosen Person, die noch blass in ihrer Erinnerung lebte, hatte sie nichts mehr zu tun.
Diese
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