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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Aufwaschraum, dann könnte ich gleich wieder Fische ausnehmen. Diese Zeiten sind vorbei. Ich helfe dem Hausverwalter nur ein bisschen bei der Organisation, er tut sich schwer mit dem ganzen Papierkram und hat eine furchtbare Schrift. Der Vorstand erwartet akkurate Abrechnungen, Personallisten – diese Dinge eben.»
    Es seien nur ab und zu ein paar Stunden und nichts Offizielles, kein Hahn krähe danach. Sie hätte es ihm schon noch erzählt. Bei Gelegenheit.

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    Kapitel 12
    Dienstag
    D er Morgen war trübe, die Sonne verbarg sich hinter einer milchigen Wolkendecke, die nicht aussah, als wolle sie sich bewegen oder gar auflösen. Solche Tage im August verheißen nicht den erhofften goldenen Herbst, sondern bringen eine Kühle und Dumpfheit, die dem Sommer viel zu früh die Farben und dem Gemüt die Leichtigkeit nehmen. Die Tage wurden nun rapide kürzer und gemahnten schon an die Nähe der dunklen Jahreszeit.
    Henrietta ließ sich von der Mattheit des Tages anstecken. Die Mutlosigkeit, die sie vorgestern Abend in der Bibliothek energisch abgewiesen hatte, kam wieder herangekrochen, zu schleichend, um sie rechtzeitig zu erkennen und fortzuscheuchen. Nun war sie da. Klebrig und drückend.
    Dieser fehlende letzte Band der Tagebücher. Sie wollte ihn so sehr finden, wie sie ihn fürchtete. Sie hatte im Nachtschrank ihres Vaters die Schublade geöffnet, dann die Tür, ein Tagebuch war nicht darin, auch kein kleineres Notizbuch, nichts, in dem etwas zu notieren wäre. Sie hatte Lade und Tür schnell geschlossen. Was konnte privater sein als ein Schlafzimmer? Ein Nachtschrank? Dort zu stöbern widerstrebte ihr.
    Sie ging die Treppe wieder hinab und durch den Salon hinaus in den Garten. Der Blick vom Pavillon über die Elbe war zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter ein Geschenk. Je nach Anlass und Stimmung gab er Mut oder Trost, Ruhe oder Abenteuerlust, Sehnsucht nach der Ferne oder die Geborgenheit des Zuhauseseins. Und irgendwo in dieser Hecke und dem dahinter verborgenen Zaun musste in jenem Sommer die Lücke gewesen sein. Fräulein Ackermann war mutig gewesen, als sie ihren Schützling immer wieder an die Elbe hatte entkommen lassen.
    Der offene Pavillon mit dem runden Kuppeldach wurde nun von der kräftig gewachsenen Robinie beschattet. Auch die Hecken waren gewachsen, der Gärtner musste ständig mit der Schere für den freien Blick auf den Fluss sorgen. Im Pavillon standen ein Tisch und ein einfacher Holzstuhl an der Brüstung, dazu zwei Korbsessel. Das war alles.
    «Ein schöner Platz», sagte Frau Lindner hinter ihr. «Herr Mommsen hat sehr gerne im Pavillon gesessen», fügte sie zögernd hinzu. «An windstillen Tagen hat er hier sogar seine Korrespondenz erledigt. Wenn Sie sich vielleicht setzen wollen – ich habe Kissen und das Plaid mitgebracht. Ich könnte Tee servieren.»
    «Danke, Frau Lindner, es ist wirklich ein besonders schöner Platz. Und eine Tasse Tee wäre fein. Ich denke, es ist noch genug vom Frühstück in der Kanne auf der Anrichte.»
    Hetty sah ihr nach, als sie mit eiligen, gleichwohl gemessenen Schritten über die Gartenwege – nie über den Rasen! – zurück zum Haus ging. Die ganze Person mit dieser Mischung von Schroffheit und bemühter Dienstbarkeit war ihr fremd, auch wenn sie schon an ihre Gegenwart gewöhnt war. Dennoch hatte sie keine Ahnung, was für eine Art Frau sich hinter der Fassade verbarg, was sie von ihr dachte. Bisher war es nicht wichtig gewesen.
    Sie legte ein Kissen auf den Stuhl am Tisch und setzte sich. Es war ein einfacher Holzstuhl, gerade von der richtigen Höhe, um bequem zu schreiben. Sie strich behutsam mit beiden Händen über die glatte, schön gemaserte Tischplatte. Dass sich darunter eine Schublade verbarg, entdeckte sie nur, weil sie ihren heruntergerutschten Schal aufheben musste. Der Griff war schmal und ganz oben unter der Tischplatte angebracht. Die Lade ließ sich widerwillig aufziehen, die Luft nah am Fluss war feucht.
    Und da lag sie, die vermisste Kladde. Mitsamt einem guten Bleistift und einem Federmesser.
    «Der Tee, Frau Winfield.» Alma Lindner stand mit unbewegtem Gesicht vor dem Pavillon, ein Tablett mit einer großen Tasse Tee und einem Schälchen getrocknete Aprikosen und Weinbeeren in den Händen. «Soll ich ihn auf den Tisch stellen?»
    «Danke. Ja. Der Tee.» Henrietta hatte die Schublade schnell wieder geschlossen, nun fand sie das albern. Warum sollte die Lindner nicht sehen, dass es eine gab und dass etwas darin

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