Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
hängt ein Bild, es sieht wie ein Handzettel aus, eine Reklame. Oder aus einer Zeitung? Nein, dazu ist es zu groß. Ein Handzettel oder ein Plakat. Es wirbt für den Auftritt eines Artisten, eines Messerwerfers. Sensation, stand da. Und ich glaube, dieser Artist war Boje.»
«Boje?»
«Der Hauswart. Er heißt Boje.»
«Das ist in der Tat eine Neuigkeit. Henningsen muss das entgangen sein.»
«Ich konnte es sehen, weil der Vorhang vor der Kammer halb aufgezogen war. Aber vielleicht irre ich mich. Gehen Sie noch mal nachsehen?»
«Sicher.» Ekhoff lächelte. «Ganz sicher. Sie sollten sich darüber keine Gedanken machen. Wahrscheinlich hat es gar nicht viel zu sagen.»
«Nein, wahrscheinlich nicht. Jetzt fällt mir noch etwas ein. Boje weiß, dass ich in England lebe. Oder gelebt habe. Er machte so eine Bemerkung.»
«Ihr Name klingt und ist auch tatsächlich englisch.»
Hetty nickte zögernd, ihre Miene verriet jedoch keine Zustimmung. Sie konnte sich nicht erinnern, ihren Namen genannt zu haben.
«Wann besuchen Sie wieder Ihren Kurs? Morgen?»
«Übermorgen.»
«Bis dahin ist das geklärt.»
«Sie haben mich eben Hetty genannt.»
Es kam sehr selten vor, doch nun errötete Paul Ekhoff wie ein Jüngling. «Pardon, es ist unverzeihlich. Ich …»
«Nein. Sie sind Paul. Ich habe lange gebraucht, aber jetzt bin ich ganz sicher. Sie sind Paul vom Strand. Wie geht es Martha? Und Karla? Hat sie inzwischen eigene Taftschleifen?»
«Nein, hat sie nicht und auch nie gehabt. Karla hatte die Schwindsucht und ist schon lange tot.» Martha Ekhoff stand, eine Aktenmappe unter dem Arm, hinter Hetty, ihre Stimme klang nach tiefstem Winter.
* * *
Auch die Brüder Grootmann hatten bei einem Kaffee zusammengesessen, allerdings war der Kaffee sehr viel besser und der Raum, in dem sie ihn tranken, erheblich gediegener. Die Anwaltskanzlei befand sich in einem erst vor wenigen Jahren erbauten Kontorhaus auf traditionsreichem Hamburger Grund, wenige Schritte von Bank, Börse und neuem Rathaus entfernt. Felix’ Büro wirkte trotz des voluminösen Mahagonischreibtisches mit den dezent vergoldeten Füßen und Schubladengriffen wie ein elegantes Herrenzimmer. Die Sitzgruppe aus bequemen Lehnstühlen um einen Rauchtisch stand im Licht eines der großen Fenster. Wer sich hier zu einer Besprechung traf, hatte den Eindruck von Intimität, was im Geschäft der Juristerei häufig von Vorteil war.
Heute war es um eine Geldanlage für die Zwillinge gegangen. Solche Angelegenheiten wurden mit der Hausbank geregelt, doch für die juristischen Klauseln zog Ernst Grootmann immer seinen fachkundigen Bruder hinzu. Die Kinder waren durch den Familienbesitz versorgt, selbst wenn ihrem Vater etwas zustoßen sollte. Ernst wollte ihnen eine zusätzliche Sicherheit geben, nicht sehr groß für Grootmann’sche Verhältnisse, aber ein kleines Kapital für einen Neuanfang im Notfall. Womöglich wolle Lorenz es eines Tags seinem Onkel Amandus nachtun und durchbrennen, so hatte Ernst mit seinem seltenen Schmunzeln gesagt. Das sei mit einem von der Familie unabhängig verfügbaren Kapital erheblich aussichtsreicher als mit nichts als einer Schiffspassage dritter Klasse.
Die angelegten Summen unterschieden sich deutlich. Lisettes Anteil betrug die Hälfte von dem ihres Bruders. Frauen brauchten nun mal weniger Kapital, hatte Ernst erklärt, sie führten keine Geschäfte und hätten immer die Familie, die für sie sorge, zunächst die elterliche, später eine eigne.
Felix hatte zu bedenken gegeben, das neueste Beispiel, nämlich das ihrer Cousine Henrietta, zeige das Gegenteil. Gerade junge Frauen brauchten ein solches Polster. Mehr als ihre Brüder, da sie kaum eigenes Geld verdienen konnten, es sei denn als Gouvernanten, Gesellschafterinnen wie die arme Huchelbeck, neuerdings als Telefonfräulein. An Schankmamsell, Ladenfräulein oder Zierstickerin wolle er jetzt nicht denken. Ob Ernst sich das für Lisette vorstelle?
Der hatte gelacht und versichert, das könne und wolle er ganz gewiss nicht, und dieser Notfall werde bei den Grootmanns nie eintreten. Zudem habe Lisette anders als Hetty zwei wohlhabende Familien im Rücken. Auch Marys Familie sei, was dieses Thema betreffe, ein guter Garant für ein Mädchen.
«Hast du morgen Abend etwas vor?», fragte Ernst, als er nach der Kaffeetasse auch sein Sherryglas geleert hatte. «Könnte es ein, dass du in die Oper gehst? Wagner, Tristan und Isolde , die Vorstellung dauert mit den Pausen mindestens
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