Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
möchte dort sein, wo ich aufgewachsen bin, wo ich meinem Vater noch nah sein kann, auch meiner Mutter, obwohl ich wenig Erinnerung an sie habe. Nein, gerade deshalb.»
«Und die Grootmanns? Sind die damit einverstanden?»
«Warum nicht? Sie haben mich eingeladen, sogar gedrängt zu bleiben. Sie behandeln mich wie eine Tochter und Schwester. Aber ich bin erwachsen und habe nun ein eigenes Haus.»
«Haben die Grootmanns Sie in all den Jahren in England besucht? Die Herren haben doch sicher Geschäfte mit Firmen in London. Oder – Manchester?»
«Was sind das plötzlich für Fragen, Herr Kriminalkommissar? London, Manchester? Kann es sein, dass Sie eigentlich Newcastle meinen? Das ist doch absurd. Sie können unmöglich einen Zusammenhang zwischen dem Tod meines Mannes und meiner Familie vermuten. Welchen Grund sollte es geben? Das ist mehr als absurd. Aberwitzig. Ich rechne es Ihnen als Berufskrankheit an. Sonst könnte ich jetzt nicht mehr mit Ihnen sprechen.»
«Es tut mir leid, aber ich habe tatsächlich darüber nachgedacht. Und wenn Sie erlauben, ich bezeichne es nicht als Berufskrankheit. Es gehört zu meiner Pflicht, alles zu bedenken. Auch das Undenkbare. Ich hätte Sie aber nicht damit behelligen dürfen. Können wir es als dummes Gedankenspiel vergessen?»
Hetty blickte hinaus auf den Anleger. Die Ziege stand endlich im Boot, die Jungen waren damit beschäftigt, das nun vor Angst zitternde und meckernde Tier mit einem groben Strick an einem Eisenring im Boot festzubinden. Wenn es kenterte, war das Tier verloren.
«Ich glaube, das können wir. Ich bin sonst nicht so schnell erbost. Also zurück zu Ihrer letzten Frage: Ich bleibe erst einmal im Haus über der Elbe. Nirgendwo sonst. Zukünftig – das ist zukünftig. Ich finde es überhaupt nicht einsam, und es gibt für mich dort viel zu tun. Außerdem fahre ich an zwei Tagen in der Woche für einen Kurs in die Malschule nach Hamburg.»
«In die Damenmalschule? Die von der Visitenkarte?»
«Ja, aber es ist nur eine Art Reklamezettel. Niemand dort scheint meinen Mann zu kennen. Aber das haben Sie auch schon erfahren, nicht wahr?»
Ekhoff nickte und nahm den letzten Schluck Kaffee, offenbar schmeckte ihm das Gebräu. «Gefällt es Ihnen dort?»
«Sehr sogar. Die Damen sind nett, die meisten guter Dinge und einige sehr interessant. Alle sind bei der Sache, keine ist gleichgültig oder gelangweilt, und sie nehmen ernst, was sie tun.»
«Diese Malerei?»
«‹Diese Malerei›, ja. Es ist eine Arbeit», sagte sie spitz. «Es gibt sogar Leute, die für Bilder Geld bezahlen. Auch für diese Art Bilder.»
«Ich muss mich schon wieder entschuldigen. Ich bin ein Banause. Was ist eigentlich sonst noch in dem Gebäude?» Ekhoff wurde plötzlich ein Versäumnis klar. Zwar hatte Henningsen auch die anderen Mieter des Hauses im Adressbuch überprüft, aber das musste trotz des jährlichen Erscheinens nicht mehr ganz aktuell sein. «Es gibt dort Büros. Wissen Sie, welche, oder ob die anderen Mieter mit der Malschule auf irgendeine Weise verbunden sind?»
«Das weiß ich nicht, ich war erst zweimal dort. Da erfährt man kaum mehr, als einem direkt gesagt wird. Die Damenmalschule belegt die dritte und die vierte Etage, darüber, gleich unter dem Dach, wohnt nur ein altes Ehepaar. Ich glaube, er schreibt philosophische Traktate, das hat jedenfalls eine der malenden Damen beim Tee erwähnt. Und sie haben einen sprechenden Papagei. In der zweiten Etage hat ein Augenarzt seine Praxis, er macht zurzeit Ferien auf Sylt. Das hat der Hauswart erzählt. Sylt kommt jetzt immer mehr in Mode. Dann ist da noch eine Reiseagentur, die Tür sieht ziemlich unbenutzt aus. Das ist alles, jedenfalls von diesem Treppenhaus aus. Der Hauswart ist außer für dieses zumindest noch für das Nebenhaus zuständig. Ein brummiger alter Graubart. Er wohnt im Souterrain und hat da auch eine kleine Werkstatt.»
Sie schloss plötzlich fest die Augen und hielt vor Konzentration den Atem an. Ekhoff griff besorgt nach ihrer Hand. «Hetty? Was ist los? Pardon, Frau Winfield?»
Sie öffnete die Augen mit einem triumphierenden Lächeln und stieß heftig den Atem aus. «Ich wusste, da war etwas in meinem Hinterkopf. Ich habe es nur vergessen, weil gerade, als ich es entdeckt hatte – halbwegs nur, es ist schummerig dort –, stand er plötzlich hinter mir. Es war ein bisschen gruselig, ich habe mich erschreckt und es dann vergessen. Aber jetzt sehe ich es vor mir. An der Wand in seiner Kammer
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