Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
jeher, es sei die schönste Schiffspassage einen Fluss hinauf, die es gab, auch wenn die Londoner von der Themse und die Pariser von der Seine Gleiches behaupteten. Sogar Damen, die doch für gewöhnlich zur Schonung ihres Teints die Sonne mieden, schlenderten unter großen Hüten und aufgespannten Sonnenschirmen an Deck und genossen den Ausblick.
Ein bis dahin träge im Fluss dümpelndes Ruderboot hielt auf die Fähre zu, und Felix begriff amüsiert – Jason Highbury, anders als der alte Sophus ein echter Exzentriker, hatte es wieder geschafft. Er hatte den Kapitän von der absoluten Notwendigkeit überzeugt, die Maschinen zu drosseln und ihn mitten auf dem Fluss, nahe bei seinem Anwesen, von Bord gehen zu lassen. Der Teufel mochte wissen, wie ihm das immer wieder gelang. Es gab eine Menge Geschichten dazu, unter anderem kursierte, er habe für den Notfall ein Schreiben von Queen Victoria persönlich in der Tasche, was aber nur bei britischen Kapitänen die gewünschte Wirkung zeige, im Übrigen sei die Echtheit zu bezweifeln. Highbury selbst ignorierte Fragen danach, was alle ungemein bedauerten.
Auch die Geschichte, die diesmal dahintersteckte, würde Felix Grootmann nie erfahren, aber immerhin wurde er Zeuge, wie Highbury von der Fähre in das schwankende Ruderboot kletterte. Es hieß, hin und wieder habe er dabei einen seiner Irish Wolfhounds im Gefolge, riesige, dünne Tiere mit zottigem grauen Fell, von liebenswürdigem Charakter, doch ungemein empfindlich und nervös. Felix ging ein Stück die Mole hinunter, um besser sehen zu können.
Und da war Highbury. Elegant wie immer im stahlgrauen Gehrock, auf dem Kopf den Bowler, der Diamant seiner Krawattennadel blitzte in der Sonne bis ans Ufer sichtbar auf, die leicht aufwärts weisenden Schnurrbartspitzen waren akkurat pomadisiert. Felix war sicher, wenn der als überaus sportlich geltende Highbury sich über die Reling schwang, würden schneeweiße Gamaschen aufblitzen – altmodische Accessoires zu aktueller Eleganz.
Aber Highbury musste sich nicht über die Reling schwingen, zwei Matrosen rollten die Ausstiegsluke vier Handbreit zur Seite, und Highbury kletterte geschickt – es verriet Übung – die Strickleiter hinunter in sein Boot. Und nun trat eine Dame an die Öffnung, ihr Kostüm dunkelgrün und schwarz changierend und von einem für die Reise passend schlichten Schnitt, der Hut auf ihrem braunen Haar war von bescheidener Größe, aber pfiffiger Form. Einer der Matrosen warf eine große Gobelintasche hinunter ins Boot, eine lederne folgte, beide landeten gut. Die Dame, sie schien jung, zauderte. Felix glaubte, etwas Vertrautes an ihr wahrzunehmen, aber er konnte das Gesicht nur vage erkennen, die Elbe war schon breit vor Teufelsbrück, und die flachen Ufer zwangen die Fahrrinne weiter zur Flussmitte.
Die Lilly Prym tutete ungeduldig, da raffte die Passagierin mit der Linken ihre Röcke, umklammerte mit der Rechten das Tau der Leiter und ertastete mit dem Fuß eine der Sprossen. Plötzlich sprang ein Mann, von Gestalt und Bewegung ebenfalls jung und agil, das militärisch kurz geschnittene Haar mehr rot als blond, aus dem Hintergrund herzu, als habe er bereitgestanden, gespannt und auf dem Sprung, und umklammerte ihr Handgelenk. Er war offenbar um ihre Sicherheit besorgt. Wer zu düsteren Phantasien neigte, mochte allerdings das Gegenteil annehmen. Jedenfalls schwankte die Dame an der Leiter bedenklich. Einer der Matrosen wollte ihn zurückdrängen, doch er beugte sich zu ihr hinunter, leider wehte der Wind seine Worte nicht in Felix’ Richtung. Als sie ihm das Gesicht zuwandte, segelte ihr Hut auf Nimmerwiedersehen davon; da gab sie ihre Röcke frei und griff beherzt mit beiden Händen die taumelnde Strickleiter, hing an der Bordwand wie herrenloses Stückgut, dann endlich tastete sie sich Schritt für Schritt hinab.
Ihr Helfer sah ihr unverwandt nach. Unten im Boot stand breitbeinig, das Gleichgewicht austarierend, einer der Ruderer und hielt die Leiter so von der Bordwand weg, dass sie Tritt fassen konnte. Aber ihre Röcke – gab es ungeeignetere Kleidungsstücke für eine solche Eskapade? – verhakten sich an einer Sprosse. Ein Raunen ging durch das oben versammelte Publikum, als sie im Versuch, sich zu befreien, gefährlich schwankte. Sie zerrte mit heftigem Ruck, es ratschte, die Stoffe gaben nach, flatterten zerrissen im Wind, und die junge Dame – Felix fand sie wirklich verwegen – ließ sich die letzten drei Sprossen
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