Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
hinuntergleiten, fiel mehr ins Ruderboot, als dass sie hineinstieg. Es schaukelte heftig, Highbury lachte vergnügt, drückte seine Passagierin auf die Bank und salutierte hinauf zum Kapitän, zu den Matrosen, dem Helfer der jungen Reisenden und all den Zuschauern, die das aufregende Schauspiel nach den langen ereignislosen Stunden an Bord genossen hatten und es in Hamburg blitzschnell verbreiten würden.
Highbury rief farewell, farewell hinauf. Das rief er immer zum Abschied, selbst wenn er nur den Austernkeller oder eine Teegesellschaft verließ. Das Fährschiff übertönte alles, als es endlich mit voller Kraft tutete. Es klang erleichtert, fand Felix. Die Lilly Prym nahm rasch Fahrt auf, während die Ruderer mit ihren beiden Passagieren auf die Mole von Teufelsbrück zupullten, als gelte es ihr Leben.
An der Reling der Fähre, just dort, wo die Matrosen die Ausstiegsöffnung wieder geschlossen und verriegelt hatten, stand nun nur noch der Rotblonde und blickte dem kleiner werdenden Boot mit der hutlosen jungen Dame im zerrissenen Kleid nach.
Der junge Grootmann widerstand der indiskreten Neugier, es war an der Zeit, sich auf seine Familienpflichten zu besinnen und wenigstens zum letzten Gang des Traueressens zu erscheinen. Doch als er zurück zu seiner Droschke ging, hörte er seinen Namen rufen. Highbury stand im Boot, das gerade in das kleine Hafenbecken gerudert wurde, und winkte mit beiden Armen.
«Felix, tatsächlich. Habe ich doch richtig vermutet. Können Sie hellsehen, oder ist es ein kurioser Zufall? Ich habe hier jemanden für Sie. Die junge Lady hat es so eilig, dass sie gleich zu dieser Kletterpartie bereit war. Fabelhaft, wirklich fabelhaft.»
Die Frau im Boot wandte sich zu dem Mann auf der Mole um, ein erkennendes Lächeln erhellte ihr Gesicht. Es war ein bleiches Gesicht mit umschatteten Augen, nicht schön, aber gewiss auch nicht hässlich. Eines dieser Gesichter, die man erst auf den zweiten Blick richtig wahrnimmt und dann vielleicht doch bemerkenswert findet. Nun erkannte er sie, denn so war es immer gewesen. Die offensichtlich tieferschöpfte Passagierin in Highburys Boot war seine Cousine, Mommsens Tochter. Er wähnte sie bei der Trauergesellschaft, natürlich, ihre Ankunft war für gestern erwartet worden. Irgendetwas musste geschehen sein. Henrietta – Hetty Mommsen. Aber nein, er vergaß es immer wieder – Mrs. Thomas Winfield. Er hatte sich nie an den Gedanken gewöhnen können, dass dieses stille Kind mit den wachsamen Augen nun eine verheiratete Frau war. Das stille Kind – in seiner Erinnerung war sie tatsächlich furchtbar brav gewesen, hatte ihn und seine Brüder nur geärgert, weil sie ständig beim Krocket gewann, was einem Mädchen nach ihrer Vorstellung nicht anstand.
* * *
Die Trauergesellschaft hatte sich bis auf die Familie und einige enge Freunde aufgelöst. Friedrich Grootmann hatte in Vertretung von Mommsens immer noch abwesender Tochter Henrietta zu einem Trauerimbiss im nur wenige Schritte entfernten Speiserestaurant Jacobs geladen. Sie waren nur etwa ein Dutzend. Geschäftspartner oder gar Honoratioren, die bei Trauerfeiern wohlhabender Kaufleute unvermeidlich eingeladen werden mussten, hatte man sich hier ersparen können. Einige hatten Kränze geschickt, etliche mit Karten kondoliert. Felix, der zweite Sohn, war aufgehalten worden. Auch die Zwillinge von Ernst, Grootmanns Ältestem, und seiner Frau Mary fehlten, darin hatte sich Mary, die selten offen widersprach, durchgesetzt. Schon das dumpfe Geräusch, wenn die Erde auf den tief in der schwarzen Grube liegenden Sarg falle, könne die Kinderseelen verletzen.
Vier der Herren, die sich nun um den Tisch versammelten, waren Mommsens Freunde gewesen, zwei wurden von ihren Ehefrauen begleitet, eine der beiden eine tief bekümmert wirkende rundliche Dame, deren Hände verrieten, dass sie auch grobe Arbeiten in Haus und Garten selbst zu verrichten hatte. Die Tafel war an einem ruhigen Ende der Terrasse gedeckt. Die gestärkten Leintücher auf den Tischen im Halbschatten, die roten Polster der weiß lackierten Stühle, Porzellan, Silber und Gläser blitzblank. Das hätte ihm gefallen, er war immer ein Ästhet gewesen.
«Träumst du?» Lydia Grootmanns Stimme unterbrach die Erinnerung ihres Mannes. Sie klang wieder kühl und fest. Dieses Kühle, Beherrschte hatte Friedrich schon bei ihrer ersten Begegnung angezogen, viel mehr als ihre Schönheit.
Er war irritiert gewesen, als während des Trauergottesdienstes
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