Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
ausladenden Hutes war zurückgeschlagen, die Handschuhe steckten in ihrer zierlichen Satintasche. Wie es ihre Art war, folgte sie gleich der Pflicht als Mitglied der gastgebenden Familie und begann mit den übrigen Gästen zu plaudern. Sicher im gedämpften Ton über die schönen und treffenden Worte, die der Pastor für den lieben Onkel Sophus gefunden hatte. Vielleicht auch über das Wetter.
«Ja, es ist Zeit.» Friedrich Grootmann wandte sich nach dem reservierten Tisch um. «Alle stehen bei ihren Plätzen, nur wir nicht. Und Mary? Wo ist Mary? Ich sehe schon», winkte er ab, als Ernst sich ratlos umblickte, «Emma fehlt auch. Ich bin sicher», er gab seinem Ton eine heitere Leichtigkeit, «du findest beide im Rauchsalon.»
«Rauchsalon? Doch nicht vor dem Essen.» Lydia Grootmann war wieder herangetreten und blickte von ihrem Sohn zu ihrem Ehemann und wieder zu ihrem Sohn. Sie hatte endlich den Schleier zurückgeschlagen, den Hut würde sie natürlich nicht ablegen, bevor sie mit der Diele ihres eigenen Hauses wieder privates Terrain betrat. «Wir sollten nun zu Tisch … habe ich etwas Amüsantes gesagt?»
Von der Tafel unter den Linden am westlichen Rand der Terrasse ging der Blick frei über den Fluss, eine Trauergesellschaft konnte sich ungestört fühlen.
Mit der Familie hatten die vier Herren mit den beiden Damen aus Sophus Mommsens Kreis Platz genommen. Einer erinnerte Friedrich Grootmann an die Lehrer, die ihn vor langer Zeit auf dem Gymnasium gezwiebelt hatten. Der Herr mit dem schmalen Gesicht und sehr dunklem, nur an den Schläfen und dem Backenbart ergrauendem Haar war Dr. Finke, Sophus’ Hausarzt, zwei weitere kannte er nicht. Der vierte, ein Mann im abgewetzten altmodischen Gehrock, das schlohweiße Haar wirr, als sei er gerade durch einen Sturm gegangen, lehrte Mathematik und Philosophie am Christianeum, dem ehrwürdigen Altonaer Gymnasium. Ihm war er einmal auf Sophus’ Terrasse begegnet. Die beiden hatten das Schachbrett zwischen sich und stritten über die philosophische Dimension in der Beziehung zwischen Mann und Pferd, wobei es auch bei Letzterem nicht um eine Schachfigur ging, sondern um die nützlichen Geschöpfe aus Fleisch und Blut.
Die kleine rundliche Dame mit den apfelroten Wangen und dem kummervollen Blick, auf dem straff frisierten, mausgrauen Haar ein schwarzes Strohhütchen mit einer Ripsschleife, konnte nur seine Gattin sein. Ihre Miene zeigte echte Trauer.
Ernst kehrte mit seiner Schwester zurück. Emma, die jüngste der Grootmann-Geschwister, war eine blonde, trotz ihrer dreiundzwanzig Jahre noch mädchenhafte Schönheit mit himmelblauen unschuldigen Augen – eine perfekte Camouflage. Ihr Bruder hatte sie tatsächlich im Rauchsalon gefunden, wo sie in einer Wolke belebenden Zigarettenqualms in ein Gespräch mit zwei jungen Gentlemen vertieft war. Als Ernst den Raum betrat, ging es gerade um das Damenturnier der letzten Tennis Championship in Wimbledon und die betrübliche Tatsache, dass Ausländern – erst recht Ausländerinnen! – die Teilnahme verwehrt war. Ernst kam seiner Schwester gerade zuvor, sich mit diesen völlig unbekannten Herren auf eine Partie Tennis zu verabreden, was ihrem guten Ruf kaum förderlich gewesen wäre. Leider kümmerte Emma sich wenig um solche Nebensächlichkeiten. Sie war gewohnt, dass ihre Fauxpas als charmante Capricen eingeordnet wurden. Ermahnungen, sie möge wenigstens ab und zu bedenken, dass ein verlobtes Fräulein aus gutem Hause mehr als nur den Schein zu wahren habe, hatten wenig bewirkt. Ihre Mutter vertraute darauf, dass die Hochzeit mit dem jungen Levering bald nach seiner Rückkehr aus Südamerika stattfinden und Emma ihre Pflichten endlich akzeptieren werde.
Just bevor auch Friedrich Grootmann als Gastgeber Platz nahm, tauchte Mary auf, hauchte einen allgemeinen Gruß in die Runde und ließ sich auf den Stuhl neben ihrem Ehemann gleiten. Sie blieb auf der vorderen Kante sitzen, eine Angewohnheit, die nicht nur ihrer steten Nervosität, sondern auch ihrem übermäßig geschnürten Korsett geschuldet war. Eine überflüssige Maßnahme, denn Mary Grootmann war nicht nur schlank, sondern dünn. Emma hatte neulich behauptet, das liege nur an Marys absurder Verehrung der österreichischen Kaiserin Sissi. Eine fanatische Hungerkünstlerin, wie man in den Salons von Wien bis Moskau und London flüstere. Nun zauberte Mary das verhaltene Lächeln auf ihr Gesicht, das auch bei diesem Anlass von der Gattin des künftigen
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