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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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endlich, umarmte sie ihre Nichte und hielt sie fest, ohne Rücksicht auf ihr Kleid, auf ihren Hut. Tränen benetzten Hettys Wange. Es waren nicht ihre eigenen. Lydia Grootmann löste die Umarmung ebenso abrupt und verschwand ins Entree, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Henrietta blickte ihr irritiert nach. Diese Umarmung war nicht förmlich gewesen, nicht um der Konvention willen geschehen. Das passte nicht zu der Tante Lydia, an die sie sich erinnerte. Und nun diese Umarmung, diese Tränen? Sie war nicht sicher, ob es ihr gefiel.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 3
    In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch
    A ls Henrietta mitten in der Nacht erwachte, wusste sie sofort, wo sie war. Noch bevor sie die Augen öffnete, löste der leichte Geruch des Zimmers eine Welle von Erinnerungen aus. Ihr Mädchenzimmer. Fünfzehn Jahre lang ein sicherer Hort, was immer auch geschehen war. Sogar als sie ihr damals sagten, die Mama sei nun bei den Engeln im Himmel.
    Irgendetwas hatte sie aufgeweckt. Sie konnte sich an keinen beunruhigenden Traum erinnern, kein störendes Geräusch, an nichts Ungewöhnliches. Irgendetwas war da gewesen. Die Realität drängte sich mit Wucht in ihr Bewusstsein, der Schmerz des Verlustes.
    Sie schlug hastig die Decke zurück und setzte sich auf. Der Sternenhimmel hinter dem geöffneten Fenster, die im leichten Nachtwind zitternden Musselingardinen – so vertraut und tröstlich. Und das Gefühl des Teppichs unter ihren Füßen. Sicherer Grund. Auch ohne hinunterzusehen, wusste sie genau, wie er aussah, die Farben, das Muster. Ganz unpassend für den in duftigem Weiß, Rosa und blassem Violett gehaltenen Raum war der orientalische Teppich in kräftigem Rot und Blau, Grün, Orange, auch Schwarz mit einigen Fäden in leuchtendem Gelb gewebt. Sie hatte viel mehr Figuren darin gesehen als die Erwachsenen und ganze Geschichten daraus gelesen, romantische und verwegene Abenteuer. Sie fühlte die feste Wolle unter ihren nackten Füßen und verstand nicht mehr, warum sie ihn damals zurückgelassen hatte. Auch vor dem Bett im Pensionat in Bristol wäre für einen so kleinen Teppich Platz gewesen.
    Ein müßiger Gedanke. Wer nimmt schon einen Teppich mit ins Pensionat? Erst recht ins Ausland. Papa hätte es erlaubt, wenn sie nur gefragt hätte, und auch möglich gemacht. Rosemary, mit der sie ihr Zimmer geteilt hatte, hatte aus ihrer schottischen Heimatstadt sogar eine Kommode mitgebracht.
    Ihre Augen hatten sich nun an die Dunkelheit gewöhnt. Das Mondlicht gab dem Raum etwas Geheimnisvolles. Als öffne es ein Fenster in die Vergangenheit. Irgendetwas hatten diese Worte noch zu bedeuten, aber ihr Geist war nun zu langsam für eine Antwort. Das Zimmer war unverändert. Der Baldachin über dem Bett, die beiden weißen Sesselchen, die pastellfarbenen Kissen. Der zierliche Sekretär zwischen den Fenstern hatte einmal ihrer Mutter gehört, alles, was Henrietta zu schreiben hatte, hatte sie daran erledigt. Diesmal würde sie beide mitnehmen, den Sekretär und den kleinen Teppich.
    Aber das Haus. Das ganze Haus mit den vertrauten Möbeln und Bildern, dem Geschirr, den Büchern. Und mit den Blumen und Bäumen, den Büschen, Hecken, dem Pavillon, denn der Garten war nicht zu trennen von dem Haus, er war ein weiteres, riesengroßes Zimmer, mit Wänden aus hohen Hecken und einem Dach aus Baumkronen. Wie die Räume hinter den Mauern aus Stein war auch der Garten ein Raum voller Erinnerungen an ihre ersten fünfzehn Lebensjahre – mehr als ihr halbes Leben, an Menschen, die sie geliebt, vermisst oder gefürchtet hatte.
    Konnte sie das zurücklassen? Oder – der Gedanke blitzte wieder kurz und verschwörerisch auf –, oder könnte Thomas hier mit ihr leben? Vielleicht waren seine Geschäfte und die Verwaltung seines Besitzes auch von der Elbe aus zu erledigen, wenigstens den größeren Teil des Jahres. Auch von Hamburg gab es schnelle Verbindungen mit der Eisenbahn, regelmäßige Fährschiffe zu den europäischen Zielen und in die Levante, moderne Dampfer zu allen erdenklichen Häfen in Übersee. Post- und Telegraphenämter sowieso. Vielleicht musste sie ihn nur auf die Idee bringen. Ihn überzeugen. Sanft, wie er sie gern hatte. Aber beharrlich. Er musste dieses einladende Haus doch auch lieben, seinen schönen Garten und den weiten Blick über den Fluss.
    Henrietta wusste nicht, wie sie die Stunde auf Jacobs’ Terrasse ohne ihn an ihrer Seite überstanden hatte. Alle waren freundlich gewesen, niemand hatte sie mit

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