Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Wahlspruch zum Ermittlungserfolg nicht ein. Wie war das doch? Wenn logische Erklärungen nicht greifen …?»
«Wenn man alle logischen Lösungen untersucht und ausgeschlossen hat, muss die unmögliche, die übrig bleibt, die richtige sein. So in etwa. Sie haben sie also auch gelesen.»
«Flüchtig. Wenn sie mit einigen hundert anderen Kriminalromanen zur Schärfung der Kombinationsgabe in unserer Bibliothek stehen, kommt das einer Dienstanweisung gleich. Auf den ersten Blick befremdlich, aber auch recht angenehm.»
In der Wachstube herrschte Betrieb, der Wachtmeister winkte Ekhoff und Henningsen und zeigte auf eine halbgeöffnete Tür zu einem Nebenraum. Ein vierschrötiger, etwa fünfzigjähriger Mann mit einem traurig hängenden Schnauzbart erhob sich beim Eintreten der beiden Kriminalpolizisten von der Bank unter dem vergitterten Fenster. Hose, Joppe, Strickweste und Hemd, um den kurzen Hals keine Krawatte, sondern ein verwaschenes und doppelt verknotetes blaues Tuch – alles sah nach Kauf aus zweiter oder dritter Hand, aber halbwegs reinlich aus. Ebenso die Stiefel unter der etwas zu kurz geratenen Hose. Seine Mütze war staubig, er hatte sie neben sich auf die Bank gelegt. Eine Drucklinie auf der erhitzten Stirn zeigte, wo sie gesessen hatte. So mochte ein Droschkenkutscher aussehen, der mit der Arbeit auch sein altes Leben verloren hatte. Sein Blick jedoch war klar, streng und selbstbewusst. Er roch nicht nach Bier, nur nach schlechtem Tabak.
«Vigilanz-Offiziant Dräger», stellte er sich vor. «Ich habe den Weibert festnehmen lassen. Sicher wollen Sie wissen, was vorgefallen ist, bevor Sie sich seine Lügen anhören. Dem darf man nur glauben, was man anderswo bestätigt findet. Sonst nichts.»
Dräger gehörte zu einer kleinen, von der Obrigkeit gleichwohl hochgeschätzten (und leider schlechtbezahlten) Sonderabteilung. Sie bestand nur aus sechs Männern, alle waren erfahrene Polizisten reifen Alters. Vigilanz-Offiziant hörte sich erheblich bedeutender an als ‹Beobachtungsunterbeamter›; die Aufgabe bestand einzig darin, sich als Arbeiter verkleidet in Kneipen und auf Plätzen herumzudrücken und zuzuhören, was dort geredet wurde. Nur zuhören und später, wenn es niemand sehen konnte, notieren, was sie belauscht hatten. Sie arbeiteten weniger an den bekannten Treffpunkten von Anarchisten und Sozialdemokraten, das taten andere. Ihre Aufgabe war, dem gemeinen Volk aufs Maul zu schauen und zu melden, welche Stimmung besonders in den Arbeiter- und Kleinbürgervierteln vorherrschte. Dort hatte man nach dem Ende der Cholera wieder Kraft gefunden, sich über zu wenig, zu unsichere, zu schlecht bezahlte Arbeit zu empören und Albernheiten wie den Acht-Stunden-Tag oder das allgemeine Wahlrecht zu fordern.
Die sechs Vigilanz-Beamten mussten absolut unauffällig bleiben, es war ihnen strikt verboten, sich einzumischen, zu provozieren, besonders, jemanden festzunehmen, damit ihr Inkognito über Jahre bewahrt bleiben konnte. So war der Mann, der nun in der Arrestzelle saß, zunächst entwischt.
In der Wachstube hinter der Tür wurde es laut. Eine Frau keifte voller Zorn, eine Männerstimme antwortete heiser brüllend, die schlichtenden Worte eines der Beamten gingen darin unter, selbst als sie lauter wurden. Erst ein tiefes kehliges Bellen schaffte Ruhe. Ekhoff dachte an Röschen, diese Mischung aus Rottweiler und Satansbraten. Da draußen war aber nur einer der bestens abgerichteten Polizeihunde, wie es in dem meisten Wachen einen gab. Dieses auch die aufgeregtesten Schreihälse zur Ruhe bringende Gebell produzierte kein Rottweiler, obwohl es sich so anhörte, sondern ein höchst vergnügter Airedale.
«Tja.» Der Vigilanz-Unterbeamte räusperte sich, murmelte etwas wie ‹prächtiges Hundetier› und fuhr mit seiner beständig gedämpften Stimme fort: «Wie ich gerade sagte, der Mann ist fast entwischt, weil ich mich nicht zu erkennen geben darf. Keinesfalls. Natürlich war er weg, als ein Schutzmann von der Dovenfleet-Wache kam. Und keiner da hatte ihn gesehen oder auch nur von ihm gehört.»
In seiner Stimme schwang keinerlei Empörung mit. Dräger kannte seine Vorschriften, sogar eine ganze Reihe von Gesetzen. Er hatte nie und würde auch zukünftig nicht die Regeln seines Staates in Frage stellen, aber er war für fair play . Er wusste, für die Ausgehorchten war er der Feind, also erwartete er nicht, dass sie Geheimnisse vorsätzlich preisgaben. Das erschwerte die Polizeiarbeit, war aber nur
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