Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
ihr fehlt jetzt nur die linke Ohrmuschel. Und ihm die Frau. Sie hat ihn davongejagt. Dabei musste sie mit so etwas doch rechnen, wenn sie sich mit Messern bewerfen lässt. Das findet der Grogkellerwirt auch.»
«Natürlich. Wo ist der Mann jetzt? Wusste der Wirt das auch?»
«Nicht genau. Weibert, heißt es, habe zu viel getrunken, schon vor dem fehlgezielten Messerwurf, seine Droschkenlizenz hat er im letzten Winter verloren. Die Milchfrau ist der Ansicht, Frau Weibert habe ihren Mann nicht wegen des Messers im Ohr fortgejagt, sondern weil er immer mehr soff und kein Geld nach Hause brachte. Kein Geld, dafür unberechenbare Messerwürfe aus zunehmend unsicherer Hand, das sei ihr zu viel gewesen. Die Milchfrau hält das für treulos. Ich finde erstaunlich, was manche Ehefrauen mitmachen, bevor sie sich retten.» Henningsen klappte sein Notizheft zu. «Das war’s, mal abgesehen von den Geschichten, die man über Klabautermänner, Nachtgespenster und andere tote Seelen hört, die hier durch nächtliche Straßen geistern sollen, wenn es sie nach Menschenblut dürstet. Man trifft da mehr Leute, denen der Schnaps das Hirn weggebrannt hat, als solche mit Vernunft.»
«Das scheint nur so, die Leute erzählen eben gern ihre Geschichten, und wenn einer kommt, der anders aussieht und redet als sie und ihre Kumpane, tischen sie ordentlich auf. Machen Sie sich nichts draus. Falls Sie bei unserm Verein bleiben, fallen Sie irgendwann nicht mehr auf, dann legt sich das.»
« Falls ich …»
Die Tür öffnete sich mit einem Rums, das schnitt Henningsen das Wort ab.
«Wachtmeister Schütt!» Ekhoffs Stimme klang scharf.
«Klopfen, Herr Kriminalkommissar. Ich weiß: klopfen.» Schütts Hacken knallten halbherzig gegeneinander. «Wenn die Tür zu ist, anklopfen. Es ist nur so eilig, da hab ich’s wieder versäumt. Unten in Arrestraum zwo ist gerade ein Delinquent eingeliefert worden, Sie sollen sofort runterkommen und ihn verhören.» Schütts Hacken knallten noch einmal, obwohl kein echter dienstlicher Grund dafür bestand. «Es geht um den Mord am Meßberg, Herr Kriminalkommissar, genau darum. In Nummer zwo sitzt der Täter. Einer von den Vigilanz-Beamten hat ihn festnehmen lassen. Jetzt sitzt der Mann in der Zelle. Er heißt Weimer oder Weibert. Soll ein Droschkenkutscher im Ruhestand sein. Dass sich so einer aufs Messerwerfen versteht …»
Henningsen rannte froh voraus – Mörder gefasst, Fall erledigt, das behagte ihm. Ekhoff folgte in gemessenem Schritt, er hatte es nicht gern, wenn andere oder der Zufall einen Fall für ihn lösten. Sein Assistent wartete mit Ungeduld am Paternoster, der beide mit sanftem Rappeln in den Keller beförderte.
Als es abwärts ins Parterre und weiter in den Keller ging, besserte sich Ekhoffs Laune. Er hatte nicht geglaubt, dass die Suche nach Winfields Mörder dort erfolgreich sein würde, wo das Messerwerfen als Kunst und Broterwerb betrieben wurde. Er hatte auf Gerüchte gehofft, auf Klatsch, auf Verrat. Dass der Mann in der Arrestzelle just der war, von dem Henningsen gehört hatte, war überraschend, dass dort tatsächlich Winfields Mörder wartete, unwahrscheinlich. Aber Ekhoff war neugierig. Es war ein alter Hut, dass Verbrecher in der Regel schnell geschnappt wurden oder gar nicht. Hier schien ihm das zu einfach. Und eine Saufnase, die diffizil genug mit dem Wurfmesser hantiert, um genau die Halsschlagader zu treffen – nachts in diffusem Licht?
Der Paternoster war angekommen, Henningsen sprang schon hinaus, als die Kabine erst halb unten war, und stieß sich dabei den Kopf. Ekhoff stieg bequemer aus, wie oft fühlte er sich sehr viel älter als sein Assistent.
Wäre Weibert doch der Täter, musste es eine zufällige Begegnung mit fatalem Ausgang gewesen sein. Ein Trunksüchtiger hatte selten noch eine ruhige Hand und gute Augen. Das passte nicht zu den übrigen Aspekten dieser Geschichte. Winfields falscher Name, die Absteige am Hafen, obwohl eine noble Villa als Unterkunft zur Verfügung gestanden hätte, die ganze Heimlichtuerei. Aber das waren nur Einwände der Vernunft. Vernünftig, trotzdem der Sache nicht dienlich. Wie in allen Dingen ging es auch bei Vernunft und Logik um die richtige Dosis. Zu viel versperrte den Blick auf Möglichkeiten, von denen eine vielleicht die gesuchte war.
«Ein Moment noch, Henningsen.» Der Assistent hatte schon die Hand auf der Klinke der Wachstubentür. «Sie haben doch die Sherlock-Holmes-Geschichten gelesen. Mir fällt gerade sein
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