Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Verfügung haben», erklärte er mit dieser heiteren, ihm meistens zu eigenen Selbstgewissheit, «kann ich mir nicht vorstellen, dass es in all den Spelunken und Hinterhofbühnen, die sich dort Varietés nennen, dieser Tage tatsächlich nirgends Messerkünstler gibt. Ich habe mich vorführen lassen, oder?»
Ekhoff zuckte die Achseln. «Nicht unbedingt. Sie waren mit Schütt unterwegs, der ist mit seiner Uniform und der Pickelhaube, die wir neuerdings von den Preußen übernommen haben, schon für sich wie eine Alarmsirene. Fassen wir mal zusammen, Henningsen. Keine Messerwerfer zurzeit in der Stadt, weder im Zirkus noch in den Varietés, den Hinterhof- oder Kellerbühnen. Jedenfalls keine, die angemeldet sind, wie es sich gehört. In einer so großen Stadt, bei so vielen Artisten und Tingeltangel? Messerwerfen kommt wohl aus der Mode.» Er grinste missmutig. «Jedenfalls auf der öffentlichen Bühne.»
«Nur halb.» Henningsen klopfte auf sein Notizbuch, es sah noch zerknautschter aus als vor einer Woche. «Über drei Männer, die sich auf diese Kunst verstehen, habe ich Berichte, so will ich es mal nennen. Wenn man länger herumfragt, findet man ganz sicher etliche mehr. Von zweien habe ich nur hinter vorgehaltener Hand gehört, dafür wurde über den dritten um so lauter geschimpft, die ganze Nachbarschaft hing in den Fenstern und amüsierte sich. Dabei war die Lautstärke ganz natürlicher Ausdruck von Zorn und Verzweiflung. Der Kerl hat seine arme Frau mit vier Kindern sitzenlassen, ist bei Nacht und Nebel verschwunden und …»
«Verschwunden?»
«Ja, aber nicht für lange. Er ist nur bis Harburg gekommen, dort hat ihn ein Eisenbahnzug überrollt. Seine Witwe ist überzeugt, dass er», Henningsen entzifferte nun mühsam seine Notizen, «ja, hier steht es: Da war er sternhagelvoll und hat nicht gedacht, wie rasend schnell eine Dampflokomotive ist. Dann hat sie gesagt: Geschieht ihm nur recht, und die Messer hab ich alle verkauft, die Kinder war’n hungrig, und keiner braucht mehr Messer als eins für alles. Weint laut heulend. Na, die Frau. Das habe ich auch notiert, sie hat wirklich furchtbar jämmerlich geheult. Diese arme Person, noch keine dreißig Jahre alt, aber ganz verhärmt und vier Kinder ohne einen Vater, der ihr Brot verdient.»
«Wie viel haben Sie ihr gegeben?»
«Nur ein paar Pfennige.» Henningsen senkte den Kopf tief über seine Notizen, Ekhoff sah ihn trotzdem erröten.
«Das ist nach wie vor dumm und, wenn man es genau nimmt, auch gegen die Vorschrift, Henningsen. Wir sind die Polizei, wir bekommen die Aussage von jedweder Person, ohne dafür zu bezahlen. Aber es ist Ihr Geld. Wenn Sie zu viel davon haben, bitte. Irgendwann werden Sie nicht mehr auf solche Räuberpistolen reinfallen. Wahrscheinlich sitzt der Tote vergnügt in der nächsten Kneipe und versäuft gerade Ihre milde Gabe.»
«Nein, diesmal stimmt die Geschichte. Schütt hat sie bestätigt, er hat sich an die Meldung aus Harburg erinnert. Es ist erst wenige Tage her.»
«Umso besser. An wen hat die arme Witwe die Messer denn verkauft? An einen Matrosen, nehme ich an. Oder einen Auswanderer? Und wann ist das Schiff ausgelaufen? Gestern?»
«Vorgestern.» Henningsen seufzte in betrübter Selbsterkenntnis. «Nach Shanghai.»
«Weiter geht’s kaum. Auch wenn es vorher sicher in Cuxhaven anlegt oder in Southampton, Le Havre, Bordeaux … Wir behalten das im Auge. Weiter. Die anderen beiden.»
«Knut Weibert, von dem haben gleich zwei erzählt. Die Milchfrau in der Kastanienallee, im Parterre neben der Schlosserei. Und der Wirt im alten Grogkeller in der Silbersackstraße, ein wirklich düsteres Loch. Der hat erzählt, Weibert habe mit seinen Kunststücken eine Menge Geld verdient. Dabei ist er nie im Varieté oder auf den Jahrmärkten aufgetreten, das Messerwerfen war nur sein Steckenpferd, eigentlich war er Droschkenkutscher, gelernt hat er Hufschmied. Interessant, was? Er hatte auch so eine Bretterwand im Hof, zum Trainieren. Seine Frau hat sich davorgestellt, und dann hat er die Messer um sie herum geworfen. Das war ja schlimmer als bei Wilhelm Tell.»
Ekhoff wusste nicht, wer dieser Herr Tell sein mochte, aber das war jetzt uninteressant. «Sie haben gesagt ‹ war sein Steckenpferd›. Jetzt nicht mehr?»
«Leider. Im Frühjahr hatte er mal keine ruhige Hand, da ging ein Messer daneben. Der Wirt sagt, nur ein oder zwei Handbreit, was ich bei Messerwerfern allerdings ziemlich viel finde. Seine Frau hat Glück gehabt,
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