Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
haben wir jetzt verstanden. Wo?»
Weibert kratzte sich in seinem struppigen Backenbart und zerknackte eine Laus zwischen den rabenschwarzen Fingernägeln, bevor er sich zu einer Antwort entschloss.
«Um’s mal so zu sagen, Herr Kommissar, es war auf der Straße.»
«Sie wird nicht am Himmel gehangen haben. Auf der Straße, gut – es sei denn, Sie haben sie dem Besitzer direkt aus der Tasche geklaut.»
«Dem was geklaut? Das ist gegen die Ehre, Toten was klauen. Leichenfledderei, so was mach ich nicht. Wenn man Schuhe braucht, das ist was anderes, da kann ’n Toter schon mal wie ’n Kumpel sein. Der braucht die Schuhe ja nicht mehr, ich hab nichts gegen Tote, im Allgemeinen.»
Henningsen feixte, für ihn waren solche Verhöre das reinste Theater. Ekhoff war weniger amüsiert. Der Unterschied der Wahrnehmung mochte daran liegen, dass einer wie Weibert einem Jungen aus gutem Haus als ein skurriler Exot erschien, für einen Mann wie Ekhoff war er herbe Realität, nah an den Erfahrungen seiner eigenen Herkunft.
«Ich hab auch nichts versetzt, gar nichts», plapperte Weibert hastig weiter, «was hätt ich sonst machen sollen mit ’ner Sore. Nur Idioten behalten Geklautes – hab ich was Falsches gesagt?»
Weiberts Blick huschte unsicher zwischen den Kriminalpolizisten hin und her.
«Nein, Weibert», sagte Ekhoff, «das war ganz richtig. Und sehr interessant. Ich habe gefragt, ob Sie die Uhr jemandem geklaut haben, und Sie erklären, dass Sie einen Toten nicht beklauen. Den Toten nicht beklaut haben. Nun mal los, wir wollen hier nicht ewig sitzen, bevor wir Sie ins Untersuchungsgefängnis vor dem Holstentor schicken.»
«Untersuchungsgef…? Aber ich hab doch gar nichts getan. Ich hab nur ’ne Uhr aus der Gosse geklaubt, will mal sagen gerettet, die lag da rum, als hätt sie sich nur mal zur Ruhe gelegt. Paar Minuten später wär ’n Fuhrwerk gekommen und hätt das hübsche Ding platt gemacht. Oder die Kehrichtkerle hätten sie weggeschaufelt. Und von dem Toten am Meßbergbrunnen weiß nun wirklich jeder. Jeder! Wenn Sie dann grad mich hier so fragen, isses doch klar, worum es geht.»
«Aha.» Ekhoff versuchte, dieses Durcheinander zu sortieren, irgendetwas passte nicht zusammen. «Sie haben also die Uhr gefunden und gleich gedacht, die gehört dem Toten vom Meßberg.»
«Nee, gar nicht. Ich hab doch eben gesagt, ich hätte se gerne zurückgebracht, aber ich wusste ja nicht, zu wem. Aber jetzt, eben grad, wenn Sie sagen – ach, Mensch, Sie bringen ’nen müden kranken Mann ganz durcheinander. Ich weiß schon nicht mehr, was Sie gefragt haben. Ich sag doch alles, wie es ist. Die Uhr lag in der Gosse, ich hab sie da gesehen und eingesteckt. In der Deichtorstraße. Ich hätte sie gern verkauft, das geb ich zu, ich wusste ja nicht, wem sie gehört, ich dachte, das ist sicher kein echtes Stück, und einer, der sie nicht mehr gebraucht hat, hat sie weggeworfen. Also, ich für mein’ Teil würde so was in die Elbe werfen. Oder in den Zollkanal. Aber …»
«Wann haben Sie die Uhr ‹in der Gosse gefunden›?»
«Nachts, ich meine, es war schon bisschen hell, also ich würde sagen, ganz früh morgens. Ich hatte gar nicht gut geschlafen, das kommt oft vor, wenn man ’nen leeren Bauch hat, ja, und ich wollte mir ein bisschen die Beine vertreten, mir tat der Rücken weh, verdammt harte Pritsche da, wo ich wohne. Wie ich so die Straße runterbummele, da hat im Morgenlicht was gelegen. Ich habe den Dreck weggeschoben, und da war die Uhr. Komisch, dacht’ ich noch, weil um die Zeit sonst kaum einer unterwegs ist, aber, nu denn, hab ich gedacht – ich meine», korrigierte er schnell, ihm war eine bessere Strategie eingefallen, «ich hab gar nichts gedacht. Ich war nämlich …»
«Betrunken!»
«… müde. Und wann das war, weiß ich genau. Nämlich einen Tag nachdem ihr den Toten am Brunnen gefunden habt.»
Alle drei schwiegen. Weibert schnaufte schwer. Sein Gesicht war gerötet, als brauche er nicht mehr lange bis zu einem schweren Schlagfluss.
«Schöne Geschichte. Aber wie soll man die glauben? Einen Tag und eine Nacht nach dem Mord liegt die Uhr des Toten kaum fünfzig Schritte vom Tatort in der Gosse. Wie ist sie dahin gekommen?»
«Tschaaa.» Weibert machte ein schlaues Gesicht. «Der Weinfeld oder wie der heißt, der hat sie auf dem Weg zu seinem Mörder verloren, kann doch sein. Oder der Mörder hat sie ihm abgenommen, und dann musste er rennen, weil ein Schupo kam, und da hat er sie
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