Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
sie gehen? Diese Momente brennenden Zorns hatten sie wieder eingeholt, der Weg vor ihr war wieder nichts als ein schwarzes Loch.
«Ach, Almachen, hier treff ich dich, das ist ja gar nicht schön. So was Trauriges, so ’n Friedhof. Hier liegen nur reiche Leute, was? Da bist du genau richtig. Das stimmt, und ich …»
Alma Lindner fuhr so heftig herum, dass die Frau hinter ihr einen Schritt zurückwich. «Verdammt, Gerda. Halt den Mund. Wie kommst du hierher? Wir hatten eine Vereinbarung.»
«Ich wollt dich besuchen. Ich dachte, ich klopf mal an die Tür, jetzt, wo der Herr unter der Erde ist. Da stört’s doch keinen, wenn ’ne alte Freundin Besuch macht. Aber ich hab gerade noch gesehen, wie du hier durch die Pforte gegangen bist.»
«Ich habe jetzt nichts, das weißt du. Kannst du dich nicht mal ein paar Wochen gedulden? Seit einem Jahr bekommst du …»
«Gar nicht, erst ein gutes Dreiviertel–.»
«… bekommst du alle Monate Geld von mir. Aber jetzt habe ich selbst nichts mehr. Mein Geld ist weg, verdammt. Ich hab’s angelegt. Alles. Wenn es was bringt, unterhalten wir uns wieder.»
Es würde nichts ‹bringen›. Alles war verloren. Es sei denn, noch ein Wunder geschah. Sie war seinem guten Rat gefolgt, und Herr Mommsen hatte alles penibel mit ihrem Namen notiert, «damit Ihnen nichts verlorengeht». Für ihn war die Summe klein gewesen, für sie war es alles, was sie in den letzten Jahren zusammengekratzt und für harte Zeiten zurückgelegt hatte. Sie rechnete immer mit harten Zeiten, auch wenn sie inzwischen gelernt hatte, sich zu wehren. Ein sehr magerer Notgroschen. Dank Gerdas stets offener Hand war es nie mehr geworden.
Gerdas Zungenspitze fuhr flink über ihre Lippen. Sie war stark geschnürt und ihr Gesicht gerötet, sie atmete schwer, und für ihre fünfunddreißig Jahre sah sie sehr alt aus. Das blonde Haar unter ihrem breiten Hut war strohig. Ihr süßliches Parfüm kämpfte vergeblich mit den Gerüchen eines Körpers, der lange nicht mehr gebadet hatte.
«Luis meint, du lügst, du willst mich nur loswerden. Dabei hab ich dir in der Zelle das Leben gerettet, da wirst du doch nicht undankbar sein. Es wär auch nicht nett für dich, denk ich mal, wenn die Leute hier davon hören, ich mein’, so ’ne feine Hausdame und dann Betrug, Diebstahl und Knast. Luis sagt, ich soll dir noch mal sagen, du kannst auch anders zu mir wohltätig sein, da soll ich dich dran erinnern. Paar Winke, wo die Leute hier ihre teueren Sachen stehen haben, wann die in der Sommerfrische sind und wie man stiekum ins Haus kommt oder wann die Schupos da patrouillieren.»
Alma Lindners Gesicht war plötzlich ganz nah vor dem ihrer Besucherin. «Sag deinem Luis», zischte sie, «er soll besser nicht vergessen, was man im Knast lernt. Ich hab lange genug in der Großküche geschuftet, wer da wieder rauskommt, ist geschickt und nicht mehr zimperlich. Sag ihm das. Und jetzt hau ab, Gerda, und such dir einen anderen Kerl, sonst wirst du schnell wieder weggeschlossen. Ich hab dir das Geld nie für Luis gegeben», Alma Lindners Stimme klang nun müde, «nur für dich. Werd doch endlich schlau. So oder so – ich hab nichts. Komm in vier Wochen wieder», fuhr sie zögernd fort. «Kann sein, dass sich bis dahin was tut.» Sie lachte bitter auf. «Und wenn nicht, dann könnt ihr sowieso der ganzen Stadt erzählen, wo ich war. Und jetzt verschwinde. Der Pastor kommt.»
Der Pastor von Nienstedten kam mit langen Schritten den Mittelgang herunter, trotz der Sorge im Gesicht Neugier in den Augen.
«Ich hoffe, diese Frau hat Sie nicht belästigt, Frau Lindner?», fragte er teilnehmend. «Oder kennen Sie sie?»
«Nein, sie hat mich nicht belästigt. Sie wollte nur eine Auskunft. Wo hier die Pferdebahn abfährt. Ich muss mich jetzt auch beeilen, Herr Pastor, das Wetter …»
Sie spürte die Augen des Geistlichen im Rücken, als sie zum Tor eilte. Sie hatte gedacht, Gerda werde dort auf sie warten, aber sie war nicht zu sehen. Das war gut. Gerda. Seit sie in der Stadt aufgetaucht war – der Himmel mochte wissen, wie sie ihre einstige Mitgefangene gefunden hatte –, lebte Alma Lindner unruhig. Der große Gewinn, den ihr kleines Geld bringen sollte, war Hoffnung auf ein neues Entkommen. Weit weg, wo sie wirklich niemand fand. Nun gab es kein Entkommen mehr.
Als sie an diesem Abend, noch bevor das Unwetter losbrach, wieder alle Türen und Fenster verriegelt und zweimal kontrolliert hatte, schob sie Stuhllehnen unter die
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