Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
hochbeladenen Zweispänner Platz zu machen, und wartete hinter einer Reihe aufgestapelter Tonnen, die mit der Winde zu einem der oberen Böden gehievt werden sollten. Er war froh über die Unterbrechung. Als Junge hatte Ernst seine heftigen Phasen gehabt, wie viele Heranwachsende. Später hatte er sich auf seine Pflichten als ältester Sohn besonnen, als Vorbild für die Jüngeren, als würdiger Repräsentant der Familie und des Handelshauses. Ernst hatte sich ausgetobt, auch vor seiner Ehe. Er hatte gerade gut gesprochen, dennoch fühlte Friedrich sich wieder an die störrische Kühnheit des Halbwüchsigen erinnert.
Es störte ihn nicht, es gefiel ihm sogar. Ja, jeder seiner Söhne hatte seinen Weg gefunden. Sogar Amandus, wenn man es mit Großzügigkeit bedachte.
* * *
Alma Lindner zog den großen Topf von der heißesten Stelle des Herdes, ohne nur einen Moment das Rühren zu unterbrechen. Konfitüre aus Mirabellen oder Reineclauden verdarb, wenn sie auch nur ein bisschen anbrannte. Das Blubbern der tiefgelben Fruchtmasse ließ schon nach, aber sie rührte weiter und starrte weiter in den Topf. Endlich legte sie den großen Holzlöffel auf den Topfrand, Konfitürekleckse erstarrten mit leisem Zischen auf der Herdplatte, sie achtete nicht darauf.
Die kleine Mommsen war also wieder bei Verstand. Das bereitete ihr so viel Unbehagen wie Erleichterung. Zumindest näherte sich damit die Zeit der Ungewissheit ihrem Ende. In den ersten Tagen hatte sie auf ihre Kündigung gewartet, doch dann war der jüngere der Grootmann-Brüder gekommen, Felix. Schon in der Diele hatte er sich prüfend umgesehen und erklärt, sie möge das Haus weiterhin in gutem Zustand halten, immer bereit für die neue Besitzerin. Kein Wort zu ihrer Zukunft, keine Frage, ob sie überhaupt bleiben wolle. Er war im Haus herumgewandert, hatte sich eine Weile in der Bibliothek aufgehalten – sie hatte das Vor- und Zurückschieben der Schreibtischschubladen gehört – und auch das Bilderzimmer noch einmal inspiziert. Es hatte ihr nicht gefallen.
Auch der alte Bildhauer war da gewesen, Birkheim. Sie hatte ihn widerwillig eingelassen.
«Ach, Frau Lindner», hatte er mit kummervollem Blick gesagt, «ich vermisse unseren guten Mommsen so sehr. Darf ich ein paar Minuten auf seiner Terrasse sitzen, wie so oft in den letzten Jahren?»
Da war er schon eingetreten, ohne ihre Antwort abzuwarten, und ging mit seinen schlurfenden Schritten durch den großen Salon hinaus in den Garten. Als sie fand, er könne nun auf dem Friedhof oder in seiner steinstaubigen Werkstatt weitertrauern, war sie von ihrer Inspektion der Vorratsregale aus dem Keller wieder hinaufgestiegen, um sich auffordernd zu räuspern. Doch Birkheim war nicht mehr da, weder auf der Terrasse noch im Salon oder in der Bibliothek. Sie hatte nicht gehört, wie er fortgegangen war.
Sie wuchtete den Topf auf den Küchentisch, schöpfte mit der Kelle die weichgekochten, zerfallenden Früchte heraus und verteilte sie mit sicheren Handgriffen auf kleine Steinguttöpfe. Der sämige Zuckersaft musste weiter zu Sirup einköcheln, bevor er über das weiche Fruchtfleisch gegossen werden und alles abkühlen konnte.
Plötzlich ließ sie die Kelle los, die umgehend im Mus verschwand, Alma Lindner beachtete es nicht. Ob es lächerlich, übereifrig oder nur Ausdruck überbordender Phantasie war – jetzt wollte sie Gewissheit. Sie schritt rasch, während sie noch die Hände an der Schürze abwischte, hinaus in die Diele. Sosehr sie sich bemüht hatte, es wegzuschieben, es kam immer wieder zurückgekrochen, dieses Gefühl, jemand sei heimlich im Haus gewesen. Als sie das letzte oder vorletzte Mal zu Einkäufen ins Dorf gegangen war? In der Nacht?
Sie hatte sich in diesem Haus immer sicher gefühlt, aber seit sie allein hier lebte, hatte sie mit der Dämmerung alle Türen besonders sorgfältig verschlossen: die vordere, die seitliche zur Küche und zum Keller und die Terrassentür. Auch das Tor der Remise, obwohl es von der keinen Durchgang zum Haus gab. Die alte Remise stand bis auf die Gartengerätschaften, ausrangierte Reisetruhen, den Bollerwagen für große Einkäufe und einiges Gerümpel leer. Da gab es nichts zu holen.
Seit ihrer Begegnung auf dem Friedhof hielt sie die Türen sogar tagsüber meistens verschlossen und prüfte abends alle zweimal. Gerda würde sich kaum dazu bequemen, selbst irgendwo einzusteigen, sie klopfte an und forderte. Nein. Gerda und ihr widerlicher Luis waren es sicher nicht
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