Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
die er aus Grootmanns Raum mitgebracht hatte, lag ungeöffnet vor ihm. Blessing versuchte zu lauschen, wie jeder im Raum.
Es kam nicht alle Tage vor, dass ein Kriminalkommissar auftauchte, eine geschlagene Stunde wartete und dann auf der Stuhlkante hockte, als sei er zum Rapport bestellt und nicht hier, um seinerseits Antworten einzufordern.
Der Kaufmann hörte weit zurückgelehnt zu, die Arme vor der Brust verschränkt, mit unbewegtem Gesicht. Der Kriminalkommissar sprach nicht lange, denn es gab nicht viel zu sprechen. Keine Neuigkeiten. Und er verstand sich nicht auf die Kunst, viele Worte um ein Nichts zu machen. Das würde er noch lernen. Neu war nur, dass auch die zweite Anfrage bei Scotland Yard nichts ergeben hatte. Weder ein Thomas Winfield noch ein James Haggelow, wie er sich in der Pension genannt hatte, waren in den Karteien in London vermerkt, auch die Polizei in Newcastle und in Bristol konnte keine Auskunft über Verbindungen dieses Namens mit kriminellen Machenschaften geben, nicht einmal über Verdächtigungen oder Anklagen, die sich später als falsch herausgestellt hatten. In London war nur ein Frederik Haggelow bei der Polizei bekannt, ein Mann von siebenundfünfzig Jahren, lange bekannt als Spieler und Gelegenheitshehler, sein derzeitiger Aufenthaltsort war Newgate, wo er seit zweieinhalb Jahren einsaß. Als Täter schied der vermeintliche Namensvetter somit aus. In dem seit Jahrhunderten für seine Schrecken legendären Londoner Gefängnis bekam niemand Urlaub. Es war keine Fotografie aus London gekommen, eine detaillierte Beschreibung ließ jedoch das Bild eines Mannes entstehen, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem eleganten, aus guter Familie stammenden Winfield haben konnte. Somit gab es keine neuen Hinweise auf ein Doppelleben Winfields.
«Wirklich nichts Neues also», sagte Grootmann, als der Kommissar schwieg. «Sehr bedauerlich. Man denkt doch immer, so ein Schurke müsse zu finden sein. Irgendjemand müsse ihn gesehen haben. Ihn und die Tat.»
«Gewiss.» Ekhoffs bleiches Gesicht rötete sich. «In diesem Fall jedoch …»
Grootmann hob abwehrend beide Hände. «Ja, ich weiß. Um diese Uhrzeit war kaum jemand unterwegs, obwohl ich seit Jahren immer mehr den Eindruck habe, diese Stadt schläft nie. Ab und zu und in manchen Quartieren schläft sie eben doch. Dass das auch direkt vor einer großen beleuchteten Brücke so ist – nun, ich weiß, Sie und Ihre Männer tun Ihr Bestes.»
Der Klang seiner Stimme widersprach seinen Worten. Er erhob sich, winkte wieder entschieden ab, als Ekhoff sich beeilte, ebenfalls aufzustehen, und trat zurück ans Fenster. Ekhoff blieb stehen, von außen, jenseits der Glasscheiben, mochte das devot erscheinen, tatsächlich mochte er es nicht, wenn jemand auf ihn herabsah.
«Ich will offen mit Ihnen sein, Herr Kriminalkommissar. Ich kannte Mr. Winfield nur recht flüchtig, aber er war der Mann meiner Nichte, somit gehörte er zur Familie. Alles, was ihn betrifft, sein Leben wie sein Sterben, betrifft auch uns. Die Art seines Todes beleidigt uns tief. Mit solchen … Ereignissen hat eine Familie wie die unsere nichts zu tun. Es gibt schwarze Schafe, es gibt Unglücksfälle, auch Tode solcher Art. Aber unter diesen Umständen – die Absteige, der falsche Name, die ganze Heimlichtuerei. Das ist unerhört. Ich bedauere mehr, als ich sagen kann, dass wir Ihnen so wenig verlässliche Auskunft über Winfield geben können. Ich meine, über seine Geschäfte, was er in Hamburg tat oder vorhatte, offensichtlich heimlich, sicher ohne Wissen seiner Ehefrau, die gleichzeitig den plötzlichen Tod ihres Vaters betrauert. Es ist eine äußerst dubiose Angelegenheit und eine äußerst verwirrende. Höchst unangenehm. Die Klatschmäuler triefen von Geifer, auch jetzt noch, und das wird nicht aufhören, bis der Täter gefunden ist.»
«Wir wussten bisher nur», fuhr er nach einem schweren Atemzug fort, «dass Winfield seine Einkünfte aus Ländereien und Aktien oder Rentenpapieren seiner Familie bezieht, ich glaube auch aus Anteilen an Kohleminen im Norden. Er war kein ausgesprochen reicher Mann, doch einer mit sicherem Auskommen, genug für ein behagliches Leben.» Beinahe hätte er hinzugefügt: wie sein wenige Tage vor ihm gestorbener Schwiegervater. Aber das war privat, es tat nichts zur Sache und ging den Kommissar nichts an. «Andernfalls hätte mein Schwager der Ehe seiner Tochter mit diesem Herrn nie zugestimmt. Das habe ich Ihnen schon früher
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