Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
gewesen. Die hätten kaputte Fenster oder Schlösser hinterlassen, und der penetrante Geruch, den beide ausströmten, hätte noch in den Räumen gestanden. Aber sie hatten die passenden Kumpane, die sie auf Ideen bringen mochten. Kumpane, die im Handumdrehen jede Tür knackten.
Und die Fenster? Die Fenster.
Bis jetzt hatte sie es als Einbildung oder falsche Erinnerung abgetan. Aber so war es nicht, ihr Gefühl war richtig gewesen. Sie hatte selbst gesucht, wer kannte sich besser aus als sie? Sie hatte gesucht und nichts gefunden. Vielleicht hatte ein anderer, der noch weniger Rechte hatte als sie, mehr Glück gehabt.
Sie öffnete die Tür zur Bibliothek, schob die Gardinen auseinander und sah sich um. Es stimmte immer noch. Die Bücher auf der Schreibplatte des Sekretärs zum Beispiel. Sie lagen anders als gewöhnlich. Nachdem Felix Grootmann dort gesessen und den Inhalt der Schubladen und Fächer inspiziert hatte, hatte alles noch an seinem Platz gelegen, genau wie es der Hausherr an seinem letzten Tag hinterlassen hatte. Die alte Bibel und die neue Ausgabe eines Werks des altrömischen Philosophen Seneca hatten immer beide rechts gelegen, nun lag der Seneca-Band – Vom glücklichen Leben – links. Das Büchlein hatte seinen Platz auf der Bibel gehabt. Nun lagen dort nur zwei private Briefe in aufgeschnittenen Umschlägen. Die hatte sie vorher in der rechten hinteren Ecke der Schreibplatte gesehen.
Sie wandte sich suchend um, nickte und strich leicht mit den Fingerspitzen über den Spieltisch. Auch der war bewegt worden. Eine der hinteren Teppichecken war vor einem der geschwungenen Tischbeine umgeklappt.
Die Ordnung in den Schubladen war unverändert. Jedenfalls in denen, die sie öffnen konnte, zwei hatte Felix Grootmann bei seinem Besuch verschlossen. Das hatte sie nicht überrascht. Mit Misstrauen kannte sie sich aus, es war nur vernünftig. Diese Laden waren auch jetzt noch verschlossen. Diesmal waren es nur Geringfügigkeiten, darin konnte man sich leicht irren. Aber sie irrte sich nicht.
Im oberen Stockwerk stellte sie keine Veränderungen fest. Fräulein Henriettas Zimmer war zwar all die Jahre für ihren Besuch bereitgehalten worden, aber lange unbewohnt gewesen, dort hatte nichts herumgelegen oder -gestanden, das man hätte verrücken können. Frau Winfields Gepäck hatte der Grootmann’sche Kutscher längst abgeholt.
In ihren eigenen beiden Räumen war niemand gewesen, auch daran gab es keinen Zweifel. Nichts fehlte, nichts lag oder stand an einem falschen Platz. Auch nicht die Kassette mit ihren sehr privaten Erinnerungsstücken, ihren Papieren, den Fotografien und dem winzigen Rest ihrer Ersparnisse, längst nicht einmal mehr genug für eine Schiffspassage im Zwischendeck.
All das sprach für einen nächtlichen Eindringling. Wer hier etwas suchte, hätte auch in ihren Räumen gesucht, wenn ihr Bett leer gewesen wäre. Oder nicht? Sie hatte immer einen guten Schlaf gehabt, selbst in Zeiten, in denen jede andere Frau kein Auge zugetan hätte. Während der letzten Nächte hatte sich das geändert.
* * *
Friedrich Grootmann war ein in Maßen vorsichtiger Mann. Wer große Geschäfte machte, musste das Risiko mögen und es zugleich genug fürchten, um den Grat zwischen unternehmerischem Wagemut und törichtem Leichtsinn zu gehen. Er war darin ganz gut. Und weil er ein kluger und in diesen Dingen erfahrener Mann war, wusste er auch um die Vorteile eines guten Beraters. Gute Berater wie sein ältester Sohn und sein junger Prokurist Blessing. Ernst neigte zur Vorsicht (jedenfalls bisher – die Begeisterung für die neuen Kontorhäuser waren neue Töne), Blessing, der immer so beherrscht wirkte, zu einer Prise zu viel Wagemut. Zusammen, als Trio, waren sie perfekt.
Er trat ans Fenster und blickte hinaus auf den Brookskai und den Zollkanal. Die Sache mit dem Kontor in einem der neuen Kontorhäuser war bedenkenswert. Natürlich war es falsch und gegen die Gewohnheiten, Reichtum dort zur Schau zu stellen, wo nur gearbeitet werden sollte, dafür sprachen aber größere hellere Räume, die waren repräsentativer – das war in den letzten Jahren wichtiger geworden – und auch näher an der Börse und dem Rathaus. Vielleicht war es tatsächlich altväterlich und von Nachteil, das Kontor im Speicher einzurichten. Gegen die Helle des Sommertages war es hier trotz der elektrischen Lampen düster. Über den Schreibpulten brannte von morgens bis abends Licht, nur direkt an den Fenstern reichte das Tageslicht
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