Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
sie in Alma Lindners Gesellschaft leben, wenn sie hierbliebe? Zumindest der Gärtner und eine Frau für die groben Arbeiten sollten auch weiterhin ins Haus kommen, sicher konnte auch Birte bleiben. Es wäre schön, neben der an einen Eiszapfen erinnernden Lindner ein munteres Mädchen im Haus zu haben.
Darüber musste sie nachdenken, wenn Felix den Nachlass ihres Vaters geordnet hatte und genauer über ihr Erbe Auskunft geben konnte. Und dann – sie rieb die Hände über die Schnitzwerke an den Armlehnen –, dann musste sie Thomas’ Nachlass regeln, wieder mit Felix’ Hilfe. Zumindest war sie keine ganz arme Witwe. Der Gedanke schmeckte bitter, er war aber auch erleichternd. Sie wäre eine schrecklich unzuverlässige Gouvernante oder Gesellschafterin.
Sie beugte sich wieder über die wenigen Dinge, von denen der Kriminalkommissar sich vorgestellt hatte, sie könne ihm erklären, was sie bedeuteten. Ob sie überhaupt etwas bedeuteten.
Es war ein seltsames Sammelsurium, das da vor ihr lag. Ein Passpapier hatten sie nicht gefunden, auch die Taschenuhr fehlte. Und der Ring. Sein Familienring, hatte sie dem Kommissar erklärt, der hatte bedächtig genickt und gefragt, ob sie das Wappen aufmalen könne. Sie hatte ihm eine ihrer eigenen Visitenkarten versprochen, darauf war das Wappen gut zu erkennen. Eine erkleckliche Summe Geldes hatte in Thomas’ Rocktasche gesteckt, nur deutsches Geld. Dort hatten sie auch eine Visiten- oder Reklamekarte einer Malschule gefunden. Thomas hatte nie künstlerische Ambitionen gehabt, zudem war es die Karte einer Hamburger Damenmalschule. Was wollte er damit? Woher hatte er die? Solche Karten wurden auf den Straßen verteilt, man griff unversehens danach und steckte sie achtlos ein, um sie gleich zu vergessen. Manche lagen in Ankunftshallen der Bahnhöfe und Fährschiffe aus, gut möglich, dass er eine für sie eingesteckt hatte. Sie hatte früher gerne gezeichnet und im Pensionat mit Aquarellfarben gemalt.
Damen. Sie spürte einen Anflug von Eifersucht und schimpfte sich lächerlich. Es war nicht lächerlich. Irgendetwas hatte sich verändert in diesem letzten Jahr, schleichend, ungreifbar. Er hatte das mit dieser liebevollen Herablassung abgestritten, wie sie viele Ehemänner ihren jungen Ehefrauen gegenüber zeigen. Prompt hatte sie sich schuldig gefühlt. So wie auch jetzt.
Aber diese drei Kiesel! Sie hatten in der Innentasche seiner Weste gesteckt, wie der Kommissar betont hatte. Thomas hatte sie aufbewahrt und sogar mit auf seine Reise genommen. An einem dieser glücklichen Tage, die sie nach ihrer Hochzeit am Meer verbrachten, hatte sie sie am Strand aufgehoben und zu Zaubersteinen erklärt. Ganz einfache kleine Steine, in der Nässe schimmernd. Vom Wind gleich getrocknet, hatten sie nur noch matt ausgesehen. Er hatte sie trotzdem eingesteckt, sie zum Dank für die Zaubergabe geküsst und versprochen, sie immer aufzubewahren. Dass er das wirklich getan hatte, direkt über seinem Herzen, berührte sie tief.
Sie griff nach dem letzten Stück, das der Kommissar ihr überlassen hatte. Sie könne frei damit umgehen, hatte er gesagt, er habe eine Kopie anfertigen lassen, falls sie später noch gebraucht werde. Sie faltete das Papier auseinander, es war ein Bogen recht leichten Briefpapiers, wie viele es für die Reise bevorzugen. Im Kopf stand nicht Thomas’ Name, sondern der des unbekannten Mr. Haggelow. Die Zeichnung darauf hatte kein professioneller Zeichner gemacht, überhaupt niemand, der in die Geheimnisse der Perspektive eingeweiht war. Ob sie die Zeichnung kenne, hatte der Kommissar gefragt, und als sie verneinte, ob sie glaube, Thomas habe sie selbst angefertigt?
«Vielleicht», hatte sie gemurmelt. Sie hatte Thomas nie mit dem Zeichenstift gesehen.
Das Motiv sah nach einem Blumenkranz aus und war mit einem harten Bleistift gezeichnet. Vielleicht ein kleines Gestrichel, wie man es manchmal macht, wenn man die Gedanken schweifen lässt und kaum bemerkt, was die Finger tun. Diese kleine Zeichnung hatte nicht in seiner Rocktasche gesteckt, sondern in seinem Gepäck. Womöglich gab es einen Zusammenhang mit der Karte der Malschule.
Damenatelier für Zeichnen und Malen unter Leitung von Valeska Röver stand auf der Karte, Glockengießerwall 23/Ecke Ferdinandstraße. Die Unterzeilen verrieten, was man dort lernen konnte: Malerei in Aquarell und Temperafarben, bei fortgeschrittenen Fähigkeiten in Öl, und Zeichnen, auch nach der Natur und dem lebenden Modell. Dann wurden
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