Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
er noch in Antwerpen und weiß überhaupt nicht, was hier passiert ist. Oder zurück in Bristol. Natürlich, er hat meine Kabel nicht bekommen. Das ist uns schon vorher passiert. So ein Kabel geht leicht verloren, und dann wundert man sich. Dabei ist es ganz einfach. Schrecklich einfach.»
Sie sank in den Lehnstuhl zurück, atemlos, aber mit immer noch glänzenden Augen. «Für dich klingt das vielleicht verrückt, Claire, aber so muss es sein.»
Claire zog einen Stuhl heran, setzte sich so, dass sie ihrer Cousine in die Augen blicken konnte, und nahm ihre Hand. «Nicht verrückt», sagte sie sanft, «es ist eine schöne Idee. Aber ich denke, sie entspringt einem Wunsch. Einer Hoffnung. Schau mal, Hetty, wir sind ganz sicher, dass wir deinen Mann begraben haben. Begraben mussten, ja. Es gab ein Problem mit seinem Pass, der ist verschwunden, das weißt du ja. Aber Felix und Ernst haben – wie nennt man das bei der Polizei?, sie haben ihn identifiziert. Ernst und Papa kannten ihn ja. Papa war leider verhindert, der deutsche Konsul in Chile war da, es gab irgendeine enorm wichtige Sitzung in irgendeinem Handelsausschuss. Da Felix sich erbot, statt seiner zu gehen …»
«Aber Felix kennt Thomas doch gar nicht!»
«Nicht persönlich, stimmt. Aber er hat Fotografien gesehen. Zum Beispiel das Bild von euch beiden, das dieser Polizist in Thomas’ Gepäck gefunden hat. Das gleiche steht in Mamas kleinem Salon. Das hat er oft gesehen. Hetty, es tut mir schrecklich leid, darauf beharren zu müssen, aber Thomas ist tot. Wir haben ihn begraben. Thomas Winfield, niemand anderen. Wenn er zugleich ein ominöser Mr. Haggelow war, was Gott uns und vor allem dir ersparen möge, haben wir beide begraben. Und in dem Gepäck fand sich Thomas’ Briefpapier. Anders als auf diesem», sie zeigte mit dem Kinn auf den Briefbogen mit der Zeichnung, «trägt es im Briefkopf Thomas’ Namen und eure Adresse in Clifton.»
Als Hetty schwieg, fuhr Claire behutsam fort: «Das ist jetzt alles sehr viel für dich. Wir hatten zwei Wochen Zeit, alles zu durchdenken, du musst dich überrollt fühlen. Wir sollten jetzt nach Hause fahren, Liebes. Du gehörst wieder ins Bett.»
Hetty nickte langsam. «Ja, ich bin müde. Aber ich möchte hier noch so viel ordnen. Und ansehen. Die Briefe, Papas Papiere.»
«Oh, du meinst seine Besitzangelegenheiten, die Banksachen, all das? Darum kümmert sich Felix. Er wird dir alles erklären, sobald du kräftig genug bist. Er ist gut darin, im Kümmern und Verwalten wie im Erklären. Mach dir keine Sorgen.»
«Ich mache mir keine Sorgen. Es ist etwas anderes. Ich möchte einfach hier sein.»
«Das ist nur natürlich. Das verstehe ich gut, jeder versteht das. Es ist dein Zuhause. Aber du solltest noch einige Tage bei uns bleiben, zumindest bis Dr. Murnau dich für kräftig genug erklärt. Er wird nicht länger als unbedingt nötig Ruhe verordnen. Er ist ein entschiedener Vertreter von viel Bewegung an frischer Luft und allgemeiner körperlicher Ertüchtigung. Auch für Damen, wie er nicht müde wird zu betonen.»
In der Diele war es kühl. Alma Lindner stand schon bereit und reichte Sonnenschirme, Schultertücher und Hüte.
«Wenn die gnädige Frau wieder hier wohnen möchte», sagte sie, sichtlich bemüht, den richtigen Ton zu treffen, «es ist immer alles bereit. Wenn etwas Besonderes vorzubereiten ist, das ein bisschen Zeit erfordert, ein gutes Essen, vielleicht auch für Gäste, oder wenn Sie Wünsche oder Aufträge haben, lassen Sie ein paar Stunden vorher anrufen, dann ist bei Ihrer Ankunft alles nach Ihren Wünschen bereit. Wir haben noch keinen dieser Fernsprechapparate», erklärte sie steif, «aber bei Jacobs gibt es einen. Im Andenken an Herrn Mommsen bringt man uns jederzeit eine Nachricht.»
«Danke.» Henrietta stand nur scheinbar unschlüssig in der Diele. «Machen Sie bitte keine Umstände, dieser Tage reichen eine Tasse Tee und ein Butterbrot. Oder ein Stück Ihres köstlichen Kuchens», fügte sie rasch hinzu. «Ich habe ihn kaum jemals besser gegessen. Eigentlich wollte ich unbedingt noch in Papas Bilderzimmer», wandte sie sich Claire zu. «All diese Bilder – ich möchte sie gerne ansehen. Auch die Signaturen. Papa hat sicher einen Grund gehabt, sie zu kaufen. Er muss sie sehr gemocht haben.»
«Dafür ist morgen oder übermorgen Zeit, Liebes, denkst du nicht? Du siehst wirklich erschöpft aus. Und heute erwarten wir Felix zum Dinner. Das passiert nicht mehr allzu oft, seit er
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