Ein Gebet für die Verdammten
Ohren gekommen. Und sollte ihn eine mal verklagt haben, hat er bestimmt ihr oder ihrem Ehemann – falls es den gab – den Preis gezahlt, den sie für ihr Stillschweigen verlangten.«
»Und doch hätte man meinen können, daß er sich den höchsten moralischen Grundsätzen verpflichtet fühlte. Ist er nicht bis zum Äußersten gegangen, um Genugtuung von Abt Ultán zu erzwingen für das, was jener der jüngeren Schwester seiner Frau angetan hatte?« überlegte Eadulf laut.
»Ein Mann kann durchaus zweierlei Grundsätze haben«, gab Dúnchad zu bedenken. »Oder Vorschriften für andere aufstellen, an die er selbst sich nicht hält. Peinlich wurde seine Doppelmoral in Verbindung mit dem Tod von Aíbnats Schwester, denn man erzählte sich, daß er selbst ein Auge auf sie geworfen hatte.«
»Hat Aíbnat davon gewußt?«
Dúnchads Mimik war Antwort genug. »Das Gerücht hielt sich eine ganze Weile. Es kam auch erst auf, nachdem sie völlig erschüttert aus Cill Ria zurück war, wo sie vom Tod des jungen Mannes erfahren hatte, den sie so leidenschaftlich liebte. Von da an hat Muirchertach ihr schöne Augen gemacht. Das ging Aíbnat entschieden zu weit, und es kam zu einem Ehekrach. Mit dem Freitod der Dichterin glätteten sich die Wogen. Offensichtlich hat sie der Kummer um den Liebsten umgebracht. Der soll in der See ertrunken oder sonstwie ums Leben gekommen sein.«
»Daraufhin hat Muirchertach dann Bruder Augaire zu AbtUltán geschickt, um ein Sühnegeld wegen des Selbstmords auszuhandeln, war es nicht so?«
»So war es. Augaire war Zeuge des Selbstmords geworden, hatte sich dafür interessiert, wer das Mädchen war, und die Kunde Muirchertach und Aíbnat überbracht. Ihren Tod mitansehen zu müssen hat Augaire gleichermaßen geschmerzt und erzürnt – leidenschaftlich, wie er veranlagt ist. Er betrachtete sich gewissermaßen als Rachegeist, der sich aufgemacht hat, Entschädigung einzufordern. Muirchertach stand voll und ganz auf seiner Seite. Hat ihn sogar zum Abt von Conga ernannt. Na ja, unser König huldigte eben sehr widersprüchlichen Grundsätzen.«
»Du würdest also sagen, Aíbnat und Muirchertach hatten ihre Fehler und Charakterschwächen, kamen aber miteinander aus«, stellte Fidelma fest.
»Ja, warum auch nicht. Fehler haben wir alle.«
»Und die Fehler, die Muirchertach Nár hatte, waren nicht derart, daß sie seinen Tod rechtfertigen«, merkte Eadulf an.
Dúnchad Muirisci stutzte nur kurz. »Warum er umgebracht wurde, ist doch klar. Ich hab euch das von Anfang an gesagt.«
»Aus Rache?«
»Natürlich, aus purer Rache! Dieser Kerl, dieser Bruder Drón … Der war Ultáns Spießgeselle, nicht einfach sein Reisebegleiter. Er ist der Verwalter von Cill Ria. Und die anderen, die Abt Ultán mitbrachte? Jeder von denen könnte ihn ermordet haben. Na eben, ist nicht Schwester Marga sogar mit auf die Jagd geritten? Schandbar genug nach dem, was gerade geschehen war, doch vielleicht kommt ihrem Ausflug sogar tiefere Bedeutung zu.«
Unvermittelt erhob sich Fidelma. »Belassen wir es dabei,Dúnchad Muirisci, aber wie jeder andere mußt auch du innerhalb dieser Mauern bleiben, bis wir unsere Nachforschungen abgeschlossen haben.« Unterschwellig hatte sie die ganze Zeit ein Gedanke beschäftigt, jetzt brachte sie ihn zur Sprache. »Du hast mir erzählt, du hättest an dem Abend, als Abt Ultán ermordet wurde, mit Abt Augaire
brandubh
gespielt.«
»Stimmt.«
»Und ihr habt euch kurz vor Mitternacht getrennt?«
»Stimmt auch.«
»Du hast ferner gesagt, lautes Rufen im Gang hätte dich gestört, nachdem du zu Bett gegangen warst. Du hättest dich darum nicht weiter gekümmert, weil dich schon vorher eine Ruhestörung geärgert hatte. Was war der Grund für die erste Störung gewesen?«
Dúnchad Muirisci wußte einen Augenblick nicht, was die Frage sollte, dann glitt ein Lächeln über seine Züge.
»Das hatte ich schon fast vergessen. Abt Augaire war gegangen, und ich machte mich eben fertig zum Schlafengehen, da hörte ich einen Aufschrei, und es klang, als ob unmittelbar vor meiner Kammer jemand hinschlug. Ich ging sofort zur Tür und öffnete. Da lag Bruder Drón, dieser Schnüffler, und rappelte sich gerade hoch.«
»Wie erklärst du dir das?«
»Er war gestolpert und vor meiner Tür hingefallen.« Dúnchad grinste. »Warum er gestürzt sei, habe ich ihn nicht gefragt. Er erklärte es ganz betreten von sich aus, er sei jemandem hinterhergelaufen und dabei gestolpert. Kann ja passieren, meinte
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