Ein gefährliches Werkzeug
Hause an. Als er eintrat, bewegte sich eine Gruppe lieblich aneinandergeschmiegter, in weißen Flanell gekleideter junger Mädchen über die Wiese und plapperte wie eine Schar Sperlinge. Hinter ihnen drein schritt ein älterer Herr in Schwarz, der eine altere Dame in Grau am Arm führte. Wyncott beschleunigte seine Schritte und trat zu dem alten Paar.
»Nun, Tante,« sagte er munter, »da wäre ich, und ich bin froh, daß ich hier bin.«
»Mein lieber Wyncott,« erwiderte die alte Dame, »wir freuen uns, dich hier zu sehen.«
Beim Klang der Stimme des neuen Ankömmlings wandten sich die Mädchen um und eines davon ging ihm mit offenem, knabenhaftem Lächeln und ausgestreckter Hand entgegen.
»Sie erinnern sich meiner noch, Herr Esden?«
Sie sprach mit leicht schottischer Betonung und ihr Antlitz zeigte die echt schottische blendend weiße Gesichtsfarbe. Man konnte sie kaum eine Schönheit nennen, aber in ihren Zügen fand man schon auf den ersten Blick etwas Reizendes und Verbindliches. Sie hatte offene, ehrliche, graue Augen und eine Fülle goldbraunen Haares, das in diesem Augenblick in malerischer Unordnung ihr Haupt umfloß, unddas sie mit einer leichten Bewegung zurückwarf. Mit dieser Bewegung, dem offenen freundlichen Blick, der aufrechten Haltung und der beinahe männlichen Art, in der sie Esden die Hand reichte, hatte sie ebenso viel von einem Jungen in Mädchenkleidern, als von einer jungen Dame an sich, abgesehen natürlich von den wirklich zarten und anmutigen Linien ihrer höchst weiblichen Gestalt. Scherzend erklärte Esden ihre Frage für eine Beleidigung sowohl seines Verstandes als auch seines Herzens. Darüber lachte man und Esden bewegte sich mit der übrigen Gesellschaft dem Hause zu.
»Ich bringe Ihnen gute Nachrichten, Fräulein Pharr,« sagte er, »ich bin der Vorläufer Ihres photographischen Apparates, der eben vor dem Thor anlangt.«
»Nein!« rief die Dame mit dem Ausdruck unerwarteten Entzückens und eilte ohne ein Wort weiter nach dem Gartenthor. Esden wandte sich ebenfalls um und folgte ihr gemächlich.
»Sie ist wirklich nicht übel,« sagte er zu sich selbst, »und hat ein reizendes Benehmen. Ich vermute, daß sie sich mit dem Checkbuch ebenso reizend benehmen wird. Sie können sich darauf verlassen, Fräulein Pharr, ich werde mein Aeußerstes thun, Sie zu gewinnen! Wahrhaftig, voriges Jahr war sie nicht halb so hübsch!«
Er vergaß ganz, daß voriges Jahr das Einkommen der Dame wesentlich beschränkter war, und daß damals kein Grund vorlag, sie in diesem Maße zu bewundern.
Fünf Minuten später zeigte das Eßzimmer ein unerhörtes Durcheinander von zerrissenem Bindfaden und Packpapier, und jeder einzelne Gegenstand, den Fräulein Pharr auspackte, wurde in seiner Art für prächtig erklärt. Als sich dann die Glocke vernehmen ließ, die zum Essen rief, mußte die Dienerschaft schleunigst Ordnung schaffen.
Die alte Dame blieb noch einen Augenblick zurück, nachdem sich die ganze Gesellschaft mit Ausnahme Esdens zum Ankleiden hinaufbegeben hatte.
»Ich werde dich neben Fräulein Pharr setzen, mein Lieber,« sagte sie in vertraulichem Ton. »Uebrigens weißt du ja, wie ich über die Sache denke. Ganz abgesehen von ihrem Geld ist sie ein reizendes Geschöpf und eigentlich viel zu gut für dich.«
»Ich bin der gehorsamste aller Neffen,« erwiderte Esden.
»Tu bist sehr gescheit und hübsch,« gab die alte Dame zurück, »aber ich fürchte, du bist so gottlos, als dein Vater war. Nun geh und zieh dich an.«
»Liebe Tante, zu einem Verbrechen muß ich mich bekennen: ich habe schon zu Mittag gegessen und kann mich nicht umkleiden, weil niemand auf der Station war, der mein Gepäck hatte bringen können.«
»Du mußt doch zu Tisch kommen und uns unterhalten. Ich habe vergessen, dir zu sagen, daß Fräulein Pharr dein altes Zimmer bewohnt. Du bekommst das blaue Zimmer am entgegengesetzten Ende des Ganges.«
Esden geleitete seine Tante bis an ihre Thure und machte dann in befriedigter Stimmung so gut Toilette, als er konnte. J. P. und seine Angelegenheiten waren so gänzlich vergessen, als ob sie gar nie vorhanden gewesen wären. Der junge Mann fühlte, daß er einen ausgezeichneten Eindruck auf die Erbin gemacht hatte, und er entwarf nun seinen Schlachtplan. Mindestens eine Woche lang wollte er offen freundschaftlich mit ihr verkehren; dann sah er sich im Geist mit geheimem Beifall etwas schüchterner werden; dann wollte er bei ihrem Erscheinen in Verwirrung geraten und sich
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